Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Gesicht mit irgendetwas verschmiert.
Die Schelte fiel nie besonders ernsthaft aus. Zu sehr liebte Elisabeth, die Marktfrau, ihre kleine Tochter – ihr Wunschkind.
Auch Wilhelm, der Vater, war ihr auf das Innigste zugetan, und Antonia erwiderte diese Liebe. Er war ein ansehnliches Mannsbild in seinem roten Rock mit den weißen Aufschlägen, den engen Lederhosen und schwarzen Gamaschen. Schnell hatte sie gelernt, dass er zu den »Roten Funken« gehörte, den Stadtsoldaten, deren Aufgabe es war, in den Türmen an den Toren der Mauer zu wachen, damit nichts Böses oder Fremdes von draußen in die Stadt eindrang.
Ihre Welt war heil und überwiegend sonnig – bis kurz vor ihrem vierten Geburtstag. An einem Nachmittag im September fand sie ihre Mutter weinend in der Stube sitzen. Jupp und Franz, die neunjährigen Zwillinge, jedoch starrten mit aufgeregtem Glitzern in den Augen den Vater an, der seine Hand auf Elisabeths Schulter gelegt hatte.
»Ich will dich auch nicht verlassen, Elisabeth, aber wir sind nach Mainz abkommandiert, um uns dort dem kaiserlichen Heer anzuschließen. Die Franzosen rücken näher, und Köln ist nicht zu halten.«
»Aber was wird aus mir und den Kindern, Wilhelm, wenn die Franzosen die Stadt besetzen?«
Ihr Vater sah ebenfalls unglücklich drein, fand Antonia, als er seinen Blick über sie und die beiden Jungen schweifen ließ.
»Es wird keine Kämpfe geben«, versuchte er ihr zu versichern.
»Nein, aber Plünderungen und Schlimmeres.«
Antonia verstand nicht, was ihre Eltern bedrückte, aber eines war auch ihr ganz klar – etwas Entscheidendes war geschehen, und nichts würde mehr so sein, wie es einmal war.
Einige Tage später spürte sie am eigenen Leib die Auswirkungen, und es wäre unwahr zu behaupten, dass sie sich darüber grämte, als ihre Mutter ihre Zöpfe abschnitt und ihr Jungenkleider anzog, obwohl sie dabei Tränen in den Augen hatte.
»Du bist nun unser dritter Sohn, Toni«, sagte Elisabeth und nahm ihre Tochter zwischen die Knie. »Das wird besser sein und weniger Probleme bereiten. Ein rechter Wildfang bist du ja schon.«
»Warum, Mama?«
»Weil wir mit Papa mitziehen werden. In einem zweispännigen Wagen. Wir werden in einem Zelt wohnen, dort, wo er Lager macht, und ich werde meine Waren an die Soldaten verkaufen. Ich habe eine Lizenz als Marketenderin bekommen.«
»Wird das wie ein Ausflug sein?«
»Ja, so etwas Ähnliches. Nur wird es wohl ein wenig länger dauern, als unsere kleinen Reisen nach Deutz hinüber.«
»Aber wir kommen zurück, ja?«
»Ja, wir kommen zurück.«
»Bald?«
»Kind, das weiß ich nicht.«
»Du bist traurig deswegen.«
»Ja, Toni. Ich bin traurig. Ich liebe diese Stadt, und ich verlasse sie nicht gerne. Aber ich liebe deinen Papa weit mehr, und darum gehen wir mit ihm.«
»Darf ich ein Schießgewehr haben, wie Jupp und Franz?«
»Nein. Aber du sollst jetzt eine heiße Honigmilch bekommen.«
Das tröstete Antonia – von nun an für lange Jahre Toni – über vieles hinweg.
Am 5. Oktober 1794 verließen die Stadtsoldaten Köln und wurden zur »Kaiserlich-Königlich Stadt-Köllnischen Kreis Contingent Division«.
Bevor der schwere Marketenderwagen aus dem Stadttor rollte, sah Toni sich noch einmal um und nahm Abschied von dem riesigen, düsteren Gebilde, das dort, seit sie denken konnte, am Rhein kauerte, und das sie immer mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Grauen betrachtet hatte. Der hohe Dom zu Köln stellte wahrhaftig keinen schönen Anblick dar.
Die Reise hingegen bereitete ihr Vergnügen. Noch war das Herbstwetter angenehm, die Sonne wärmte sie, Äpfel hingen an den Bäumen, süße Trauben reiften im Überfluss. Die Soldaten, die mit ihnen zogen, waren übermütiger Laune. Zumindest Pitter Stammel und Stephan Schäfer, die oft neben ihrem Wagen marschierten. Sie waren mit sechzehn und siebzehn die jüngsten Mitglieder der Truppe, und die mütterliche Elisabeth fühlte sich berufen, ihnen ihre besondere Fürsorge angedeihen zu lassen – sehr zur Freude ihrer Kinder. Denn Pitter war der Regimentspfeifer und Stephan der Tambour. Trommeln und fröhliche Liedchen begleiteten sie auf dem Weg nach Süden.
Aber dann wurde das Wetter schlechter und die Lager unbequemer. Sie erreichten in jenem bitterkalten Winter die Festung Mainz, die von den Franzosen belagert wurde. Doch die Waffen ruhten, denn der Rhein war zugefroren, und die Armeen – die österreichische und die französische, lagen in ihren Quartieren.
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