Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
bedauerte dich aber. Er hingegen hat keine einzige Frage nach dir beantwortet. Und du bist genauso stur. Du warst wie vom Erdboden verschwunden, Cornelius. Warum hast du mich nicht aufgesucht? Du musst doch von meiner Rückkehr gehört haben.«
»Hörte ich. Ich wusste von deiner Heirat. Ich wollte mich nicht aufdrängen.«
»Cornelius... Du warst mir nie lästig. Und Elena – nun, sie wird verstehen müssen, wie wichtig du und David mir seid. Wichtiger als alles andere im Leben.«
Leicht überrascht musterte Cornelius seinen Paten von der Seite. Der hatte die Augen niedergeschlagen, und seine Finger umfassten mit krampfhaftem Griff den silbernen Knauf seines Spazierstocks. Eine seltsame Ahnung überkam ihn.
Sie konnten nicht mehr weiter miteinander sprechen, denn der Scharfrichter traf ein, um den Delinquenten vom Pranger zu lösen. Waldegg schob ihm einen ordentlichen Betrag zu, damit er die Ketten, die Cornelius ab jetzt zu tragen hatte, nicht zu fest um dessen Beine schloss.
Cornelius aber sah die Tränen in den Augen des Älteren, und er nahm mit den schweren Eisen die Verpflichtung auf sich, nicht nur zu überleben, sondern auch, sobald er einen Weg fand, zurückzukehren.
Der Trossbub
Am Abend wird man klug
Für den vergangenen Tag,
doch niemals klug genug,
für den, der kommen mag.
Vierzeilen, Rückert
1798, als Toni acht Jahre alt war, erschütterte ein weiterer Verlust ihr Leben. In den letzten Kämpfen um Philippsburg fiel Corporal Wilhelm Dahmen. Pitter und Stephan gerieten in Gefangenschaft, und eine zutiefst unglückliche Elisabeth hatte kaum mehr die Kraft, sich von ihrem Lager zu erheben. Ihre Söhne Jupp und Franz saßen Tag und Nacht bei ihr, aber auch sie wussten sich keinen Rat. In all dieser Trauer und Ratlosigkeit war es schließlich Toni, die sich auf den Weg machte, den Mann zu suchen, von dem ihr Vater immer behauptet hatte, er sei der beste Offizier, den er je kennengelernt hatte – den Oberstleutnant von Klespe. Sie fand den Offizier, erschöpft, von Krankheit und Hunger gezeichnet, wie alle anderen, die die Belagerung der Stadt überstanden hatten. Erstaunlicherweise erkannte er den kleinen Burschen und hörte ihn an. Da er ein Mann war, der sich für seine Leute verantwortlich fühlte, begleitete er Toni zum Marketenderzelt und führte dort eine lange Unterredung mit der Witwe seines Corporals.
Als Folge davon packten sie, als die Straßen wieder passierbar wurden, ihre Habseligkeiten auf den Wagen und traten die Reise ins Hessische an. Hier hatte Elisabeth schon zu der Mainzer Zeit den einen oder anderen Ort kennengelernt, und mit dem Geld, das von Klespe für sie von der Regimentskasse gefordert hatte, mieteten sie sich in Pfungstadt, in der Nähe von Darmstadt, ein winziges Häuschen mit einem verwahrlosten Gemüsegarten.
Der Jahrhundertwechsel ging unbemerkt an ihnen vorüber, und die Jahre 1800 und 1801 verbrachten sie in einem vergleichsweise friedlichen Ländchen. In Frankreich war, wie Toni, die jede Zeitung las, derer sie habhaft wurde, ein neuer Machthaber aufgestiegen, ein korsischer General, der im Juni 1800 bei Marengo einen außerordentlichen Sieg errungen hatte. Nicht immer verstand sie alles, was in den Berichten stand. Elisabeth bezog keine eigene Zeitung, aber alte Blätter wurden manchmal als Einwickelpapier verwendet oder fanden sich, zerlesen und zerfleddert, bei den Abfällen. Es war ein krauses Sammelsurium an Nachrichten, das Toni damit zusammentrug, aber da sie nun am Marktstand mithalf, gelang es ihr, sich aus den Gesprächen der Kunden, dem Geschwätz der anderen Marktfrauen, den Ansichten der Bauern und Viehhändler und dem Schwadronieren der Invaliden und Veteranen in den Wirtshäusern ein recht stimmiges Bild von der Welt zu machen, in der sie lebte. Ihre Brüder hatten diesen Ehrgeiz nicht. Sie waren nur an einem interessiert – in den Krieg zu ziehen. Knapp siebzehn waren sie jetzt und ausgemachte Pferdenarren. So klangen denn die Verlockungen der Werber immer köstlicher in ihren Ohren. Kurz nach Ostern 1802 standen die Zwillinge eines Nachmittags in der schmucken grünen Uniform der Hessisch-Darmstädtischen Chevauxlégères in der Tür. Toni juchzte auf und betastete mit Begeisterung die roten Aufschläge und Kragenspiegel, paradierte bewundernd um die großen Brüder herum und überschüttete sie mit Dutzenden von Fragen.
Ihre Mutter zeigte weit weniger Enthusiasmus.
»Es musste ja so kommen, nicht wahr, Jupp?
Weitere Kostenlose Bücher