Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Fräulein Sarah Susanne. Hören Sie auf ihn.«
»Er ist aber so langweilig.«
»Da mögen Sie Recht haben, aber ich glaube, Sie würden nicht mit mir tauschen wollen, um jener Langeweile zu entgehen.«
»Nein, sicher nicht. Leben Sie wohl. Ich werde für Sie beten, Herr von der Leyen.«
»Und ich werde an Sie denken, Sarah Susanne. Vielleicht hält mich das am Leben.«
»Sarah Susanne!«, kam es scharf und ungehalten von der Gouvernante.
»Bleiben Sie gesund, und kommen Sie wieder.« Susanne hüpfte mit undamenhaft gerafften Röcken von dem Holzgerüst und wurde sogleich mit festem Griff am Arm weggeführt, wobei ihr heftigste Vorwürfe in die Ohren gezischelt wurden. Cornelius sah ihr lange nach. Frauen würde es so bald in seinem Leben nicht mehr geben.
In der nächsten Stunde war er dankbar für die rasch über den Himmel ziehenden Wolken, derentwegen er nicht ständig der brennenden Sonne ausgesetzt war. Dafür aber stellten sich etliche Gaffer ein, die sich an seinem Anblick ergötzten. Der Domhof war, seit das neu gegründete Kriminalgericht 1798 seinen Dienst aufgenommen hatte, der Platz, an dem die Urteile vollstreckt wurden. Nicht nur der Schandpfahl wurde hier aufgebaut, auch die neuartige Guillotine, die man sich aus Frankreich hatte liefern lassen. Vor drei Monaten, im Mai, hatte sie das erste Mal ihre Effizienz bewiesen. Schaulustige promenierten daher gerne über den Domplatz.
Kurz bevor Cornelius’ Zeit am Pranger vorüber war, bewegte sich die hohe Gestalt des Domkapitulars Hermann von Waldegg eilig auf das Gerüst zu. Er war Anfang fünfzig, trug sein graues, lockiges Haar ungepudert, doch stand es ihm wie immer wirr vom Haupt ab. Cornelius hatte seinen Paten seit fünf Jahren nicht mehr gesehen, und tiefe Scham überfiel ihn.
»Junge, was hast du nur getan?«, murmelte Waldegg, als er das Strafgerüst erklomm. »Du hättest zu mir kommen sollen, als du in Geldnöten warst.«
»Es war nicht nur das, Cousin Hermann.«
»Nein, ich weiß. Ich habe weiß Gott versucht, sie dazu zu bringen, das Urteil zu mildern. Ich habe mit Pape, dem Gerichtspräsidenten, gesprochen und mit Anton Keil, dem Ankläger. Ich habe mit Kormann geredet, der zu den Geschworenen gehört und war eben sogar bei dem Regierungskommissär Lakanal selbst. Irgendwie musst du dir einen Feind gemacht haben, Cornelius. Es hat alles nichts genützt.«
Cornelius schwieg. Wie hätte er seinem wohlmeinenden Paten verständlich machen können, dass sein Intervenieren vermutlich sogar das Strafmaß hochgesetzt hatte? Schließlich hob er noch einmal resigniert die unverletzte Schulter.
»Es sind überzeugte Republikaner, Cousin. Adligen stehen sie mit keinem großen Wohlwollen gegenüber.«
»Einige von ihnen gehören meiner Loge an.«
»›Brüder, reicht die Hand zum Bunde …‹«, spottete Cornelius bitter. »Haben sie getan. Gräm dich nicht, Cousin Hermann. Wer weiß, vielleicht habe ich es verdient.«
»Hast du gewiss nicht. Ich heiße selbstredend das Glückspiel nicht gut und Falschspielerei erst recht nicht, aber es ist kein Totschlag oder gewalttätiger Überfall.«
»Diebstahl ist es. Dafür hat man auch schon das Fallbeil bemüht. Bedenke, andernorts hing man die Adligen an die Laternen. Ich lebe noch.«
»Ja, du lebst noch. Cornelius. Man sagt, der Dienst in den Häfen sei hart. Aber sie begnadigen diejenigen, die sich gut führen. Versuche, dein Temperament zu zügeln. Möglicherweise kannst du Gnade erwirken. Du bist nicht dumm. Setz deinen Verstand ein.«
»Ich ertrage Demütigungen nicht besonders gut«, wandte Cornelius leise ein.
»Du wirst es lernen. Um zu überleben. Außerdem – die Zeiten ändern sich wieder einmal. In Paris gärt es im Directoire. Wer weiß, was daraus wird.«
»Eine Wendung zum Schlimmeren?«
»Nicht unbedingt. Warten wir es ab. Cornelius, ich habe in deiner Wohnung vorbeigeschaut und deine Habseligkeiten zusammengepackt. Wenn du zurückkommst, wirst du alles bei mir finden.«
»Falls ich zurückkomme. Dennoch, danke. An so etwas habe ich seit meiner Verhaftung nicht mehr gedacht.«
»Schon gut, mein Junge. Ich habe auch deinem Vater geschrieben, aber er hat nicht darauf reagiert.«
»Er wird mich kommentarlos aus der Familienbibel gestrichen haben.«
»Ich bedaure seine Hartherzigkeit. Bevor ich von Arnsberg zurückgekommen bin, habe ich ihn besucht. Darüber habe ich erst erfahren, dass du die Universität verlassen hast. Von deiner Mutter. Sie war sehr betrübt deswegen,
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