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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Oberdorfer
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Arbeiten aufhörte. Er begründete das nicht weiter, zunächstdachte ich, dass er ein Kind von mir haben wollte, früher oder später, aber dann stellte sich heraus, dass dem nicht so war. Auch ich wollte kein Kind. Es störte mich nicht, mit dem Arbeiten aufzuhören. Im Gegenteil, am Anfang gefiel es mir, in einem fremden Dorf zu sitzen und Zeit zu haben, die ich verbringen konnte, wie ich wollte. Auch das Zusammenwohnen mit Franz war zunächst interessant. Er lebte wie ein dressiertes Tier. Alles, was er tat, schien genauestens berechnet, die Bewegungen waren jeden Tag haargenau die gleichen. Am Anfang unseres Zusammenlebens stockte er noch manchmal, als ob er sich plötzlich daran erinnerte, dass nun auch ich in dem Haus wohnte. Und er schien zu überlegen, ob mein Eindringen Änderungen in seinem häuslichen Verhalten bewirken müsste. Dann lächelte er mich an, entschuldigend, und machte weiter mit dem, was er gerade machte, machen musste, immer schon gemacht hatte. Wenn wir redeten, sprach er so, als wäre Deutsch für ihn eine Fremdsprache, die er kaum oder nur mühsam beherrschte. Es kam wenig aus ihm heraus. Für mich war diese Lage anfangs gar nicht so unangenehm, weil ich immer in sehr beengten Verhältnissen gelebt hatte, immer kontrolliert und beherrscht worden war und jetzt im Vergleich zum Zusammenwohnen mit meiner Mutter eine gewisse Freiheit erlangt zu haben schien. Aber diese Freiheit ist nur eine vorübergehende gewesen. Ich verdankte sie hauptsächlich der Erschütterung, die mein Eindringen in Franz' Leben bedeutete. Eine Zeit lang war es so, dass er einfach nur für sich mit der neuen Situation zurechtzukommen probierte und mir bei dem, was ich tat, hauptsächlich zuschaute, interessiert und freundlich, wie mir schien.
    Dann aber, so nach und nach, gewann er die alte Selbstverständlichkeit, mit der er sein Leben lebte, zurück und hielt kaum mehr inne, wenn ich ihm zuschaute, eher verhärtete sich seine Miene, wenn er meinen Blick auf sich spürte, und dann, ja, dann fühlte er sich schon bald stark genug, die Zwänge, denen er selbst gehorchte, auf mich zu übertragen. Das fing zum Beispiel damit an, wo man die Sachen hinstellte. Er stellte die Regel auf, dass ich die Sachen so an ihren Platz zurückzustellen hatte, dass ein Beobachter von außen gar nicht auf die Idee kommen könnte, sie wären je von ihrem ursprünglichen Ort entfernt worden. Es entwickelte sich - zum Alptraum.«
    Sie hielt inne und stützte den Kopf auf eine Hand. Sie atmete schwer und ihr Mund zuckte eigenartig, als handelte es sich dabei um Nachwirkungen ihrer langen Rede.
    »Es war, als hätte er sich den Haushalt im Lauf der Zeit irgendwie einverleibt, als würde er gar nicht zwischen sich und seiner Umgebung unterscheiden. Wenn man an einen Stuhl anstieß und ihn verrückte und dann nicht zurück an den ursprünglichen Platz stellte, reagierte er, als hätte man ihn persönlich beleidigt, als wäre man ihm auf die Zehen gestiegen, ohne es zu bemerken. Das Ausmaß seiner Empfindlichkeit schwankte, und manchmal verlor er gänzlich die Fassung. An den ersten Anfall kann ich mich noch erinnern, als wäre es gestern gewesen. Wir hatten einen Fernseher mit Fernbedienung, damals eine Besonderheit, und Franz schaltete ihn an jedem Tag zur gleichen Zeit um halb acht ein. Dann schaute er ziemlich genau eineinviertel Stunden lang, egal, was gesendet wurde, und schaltete um dreiviertel neun wieder aus, oft mitten im Film, denn um neun lag er ausgestreckt im Bett und schlief wie ein Toter. Und einmal geschah es nun, dass er nicht wie gewohnt einschalten konnte, weil er die Fernbedienung nicht fand. Ich war gerade nicht im Haus und nahm die trockene Wäsche von der Leine. Es war ein schöner, windiger Herbstabend, ich nahm die Wäsche langsam ab, weil ich gern noch ein bisschen draußen auf dem Balkon arbeitete, als ich ein sonderbares Geräusch hörte. Ich wusste nicht einmal, ob es aus der Nähe oder aus der Ferne kam. Zuerst schien mir, als machte sich irgendein Tier in meiner Nähe zu schaffen, grunzte oder raunte, dann aber hörte ich plötzlich meinen Namen, der da geröhrt wurde: >Anna, Anna!< Der Ruf drang aus dem Hausinnern dumpf nach draußen und es war Franz, der rief. Ich lief hinein und fand ihn vor dem Fernseher. Er kniete davor und versuchte, ihn einzuschalten. Aber das gelang ihm nicht. Er war es gewohnt, mit der Fernbedienung einzuschalten, und fand nicht den richtigen Knopf. Fieberhaft tastete er das Gerät ab,

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