Kreuzzug
mussten die Wagen, die vor ihm standen, einzeln herausgezogen und auf dem Abstellgleis neben dem Bahnhof geparkt werden.
»Warum dauert das alles so lange?« Der Einsatzleiter des Roten Kreuzes hatte sich einen Platz in Hellwegers Leitstand erkämpft. Er stand neben dem Einsatzleiter der Polizei, Hellweger und dessen Kollegen Matthias Meier und zündete sich die dritte Zigarette innerhalb von fünf Minuten an.
»Wir machen ja schon mit Volldampf«, gab Franz Hellweger zurück, »aber ganz ehrlich, schneller geht’s auch nicht, wenn du hier herinnen die Luft verpestest.«
»Ah, der Herr Hellweger, haben wir zum neuen Jahr wieder einmal das Rauchen aufgegeben?«, fragte der Rotkreuzler verächtlich und traf damit den wunden Punkt des sonst so besonnenen Betriebsleiters.
»Ja, genau. Und deshalb Kippe aus und Schnauze halten oder raus aus meinem Führerstand. Verstanden?«
Sepp Gmeinwalder zog noch einmal an seiner Zigarette und schnippte sie dann zum Seitenfenster hinaus. Der Hellweger Franz hatte gerade mal wieder das Rauchen aufgegeben, dachte er, da mochte das ein lustiger Einsatz werden. Seit Jahrzehnten kannten sie sich aus Fußballverein und diversen Schafkopfrunden. Die drei Wochen nach der letzten Zigarette war Hellweger immer ungenießbar. Dann zündete er sich bei irgendeinem Stammtisch wieder eine an und verwandelte sich zurück in ein respektiertes Mitglied der Grainauer Gesellschaft.
Der Zug war nun fertig. Hellweger hatte Anweisung gegeben, dass die Lok von hinten schieben sollte. In der Mitte des Gespanns stand der Materialwaggon und an der Spitze der Wagen mit dem Bagger. Die Männer kletterten auf den Materialwagen. Hellweger verließ seinen Leitstand und ging zum Gleis hinüber und auf den Vorarbeiter Luigi Pedrosa zu.
»Luigi, ihr fahrt jetzt da rauf und führt zuerst die Sonde mit der Kamera ein. Oder versucht es zumindest. Fangt ja nicht an zu graben, bevor ihr die eindeutige Ansage von mir bekommt. Ist das klar?«
»Alles klar, Chef.« Der italienischstämmige Vorarbeiter stand seit knapp zwanzig Jahren und damit beinahe so lange wie Franz Hellweger im Dienst der Bayerischen Zugspitzbahn . Hellweger wusste, was für ein Arbeitstier er in Pedrosa hatte. Darum hatte er ihn bereits zweimal vor dem Rauswurf bewahrt, als er sich in jüngeren Jahren nicht immer an das absolute Alkoholverbot während der Arbeit mit schwerem Gerät gehalten hatte. Luigi Pedrosa wusste, dass er Hellweger etwas schuldete. Sein Boss würde sich auf ihn verlassen können.
Während die beiden Zugspitzbahner noch einmal die Ausrüstung überprüften und Hellweger entschied, dass noch mehr Schaufeln und Hacken mitgenommen werden mussten, knatterte ein dunkelolivfarbener Hubschrauber der Bundeswehr nur wenige Meter über den Wipfeln des umstehenden Bergwaldes hinweg. Die betagte Bell UH - 1 senkte sich mit ihrem typischen Teppichklopfergeräusch drüben neben dem Hotel ab und landete auf dem zugefrorenen See.
Hellweger schickte den Zug los und ging hinüber zum Leitstand.
»Kommt die Bundeswehr schon zur Verstärkung?«, fragte der Polizist Ronny Vierstetter, der sich nach einem Rundgang über den Parkplatz kurz im Leitstand aufwärmte.
»Ich schätze, dass das die ganz besonders hilfreiche Verstärkung ist«, seufzte Hellweger und deutete auf den gelben Post-it-Zettel mit der Aufschrift »Ministerpräsident« und der geheimen Telefonnummer, der an der großen Scheibe vor ihm klebte.
Ein zweiter Helikopter surrte über ihre Köpfe hinweg, diesmal ein ziviler und modernerer, der bei weitem nicht so viel Lärm machte wie die alte Bundeswehrmühle. Als der Hubschrauber eine langsame Runde über dem Bahnhof und dem Hotel drehte, sah Hellweger das bunte Logo auf dessen Seite.
» RTL . Jesusmaria, jetzt geht das los. Der Ministerpräsident mit Pressebegleitung im Schlepp. Wieso hab ausgerechnet ich heute Dienst?«
Auch der Hubschrauber des TV -Senders ging drüben beim Eibsee-Hotel runter. Natürlich erst, nachdem im Tiefflug der Bahnhof, die Seilbahn daneben und die Flanke des Berges gefilmt worden waren, als Footage-Material, das man für eine spannende Katastrophenberichterstattung brauchte. Die routinierten Piloten und Kameraleute erledigten den Job in weniger als fünf Minuten. Zeit genug für den Ministerpräsidenten Hans-Peter Lackner, aus dem Militärhubschrauber zu steigen und zusammen mit seinem Tross die kurze Entfernung vom See zum Leitstand zu Fuß zurückzulegen.
Franz Hellweger und die drei Männer
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