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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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leben! Vielleicht wirst du auch zu ihm ziehen? Meinetwegen! Frostig! Frostig! Frostig!«
    Nach diesem Gespräch sprach der Fürst nicht mehr über die Sache, aber der verhaltene Zorn über den Kleinmut des Sohnes äußerte sich in seinen Beziehungen zu seiner Tochter. Zu den früheren Gegenständen des Spottes war jetzt ein neuer gekommen – das Gespräch über die Stiefmutter und die Liebenswürdigkeiten gegen Mademoiselle Bourienne.
    »Warum soll ich sie nicht heiraten?« sagte er zu Maria. »Sie wird eine prächtige Fürstin sein!« Und zu ihrem unangenehmen Erstaunen bemerkte Marie in der letzten Zeit, daß der Vater wirklich sich mehr und mehr der Französin näherte. Marie schrieb Andree darüber, wie der Vater seinen Brief aufgenommen habe, suchte ihn aber zu trösten und äußerte Hoffnung, den Vater mit diesem Gedanken zu versöhnen.
    Je mehr die Fürstin Marie vom Leben sah, desto mehr war sie verwundert über die Kurzsichtigkeit der Menschen, welche hier auf Erden das Glück und Genüsse suchten, sich abmühten, kämpften und einander Böses zufügten, um dieses unmögliche, nebelhafte und lasterhafte Glück zu erreichen. Fürst Andree liebte seine Frau, sie ist gestorben, und nun will er sein Glück mit einer anderen verbinden. Der Vater will das nicht, weil er für Andree eine vornehmere und reichere Gemahlin wünscht, und so streben und kämpfen sie, quälen sich und verscherzen das Heil ihrer Seelen, um ein vergängliches Glück zu erjagen. Wie kommt es, daß niemand das begreift, niemand außer dieser, verachteten Gottesmenschen, die mit dem Bündel auf den Schultern durch die Hintertür zu mir kommen, weil sie sich vor dem Fürsten fürchten, die Familie und Heimat verlassen und alle Sorgen um das irdische Wohl hinter sich lassen, unter fremden Namen in die weite Welt wandern, den Menschen nichts Böses tun, sondern für sie beten, auch für diejenigen, welche sie verfolgen? – Höheres gibt es nicht im Leben.
    Eine Pilgerin, Feodosja, eine fünfzigjährige, kleine, stille, pockennarbige Frau, kam schon seit dreißig Jahren barfuß und mit Ketten aufs Schloß. Fürstin Marie liebte sie besonders. Einmal, als sie in einem dunklen Zimmer saßen, das nur von dem Lämpchen vor dem Heiligenbild erleuchtet wurde, erzählte Feodosja von ihrem Leben, und in Marie erwachte mit so überwältigender Kraft der Gedanke, Feodosja allein habe den wahren Lebensweg gefunden, daß sie beschloß, selbst auf die Pilgerfahrt zu ziehen. Sie vertraute ihren Vorsatz nur einem Mönch, dem Vater Akinphy an, der ihn billigte. Unter dem Vorwand, ein Geschenk für eine Pilgerin zu kaufen, verschaffte sich Fürstin Marie ein vollständiges Pilgergewand, ein Hemd, Pilgerschuhe, einen Kaftan und ein schwarzes Tuch. Oft blieb sie unentschlossen vor der Kommode stehen, in der sie alles verwahrte, und fragte sich, ob die Zeit schon gekommen sei, ihr Vorhaben auszuführen.

107
    Die biblische Überlieferung sagt, daß die Freiheit von aller Arbeit, der Müßiggang, die Vorbedingung des wonnigen Zustandes des ersten Menschen vor dem Sündenfall gewesen sei. Die Liebe zum Müßiggang blieb dann auch dem gefallenen Menschen, aber der Fluch lastet noch immer auf ihm, nicht nur deshalb, weil wir im Schweiße unseres Angesichts unser Brot essen sollen, sondern auch deshalb, weil wir nach unseren Charaktereigenschaften nicht ruhig und müßig sein können. Eine geheime Stimme klagt uns an, wenn wir müßig sind. Wenn der Mensch einen Zustand finden könnte, in dem er müßig sein und zugleich sich für nutzbringend und pflichtgetreu anerkennen könnte, so hätte er die eine Seite der Grundlage des Wohls gewonnen. Einen solchen Zustand des gebotenen und vorwurfsfreien Müßiggangs genießt ein Stand – der Kriegerstand. In diesem gebotenen und vorwurfsfreien Müßiggang besteht und wird bestehen die hauptsächlichste Anziehungskraft des Kriegsdienstes. Nikolai Rostow genoß diese Wonne, während er im Pawlogradschen Regiment noch 1807 weiterdiente. Er befehligte schon eine Schwadron, die er von Denissow übernommen hatte. Rostow war ein kräftiger, guter Junge geworden, dessen Ton die Moskauer Bekannten vielleicht etwas rauh gefunden hätten, der aber von seinen Kameraden und Vorgesetzten geliebt und geachtet wurde, und mit seinem Leben zufrieden war. In den Briefen aus der Heimat fand er mehr und mehr Klagen der Mutter darüber, daß die Verhältnisse schlechter und schlechter wurden und es Zeit sei, nach Hause zu kommen, zur Freude seiner

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