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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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mutwilliger Junge, dessen Stimme schon brach. Über Natalie wunderte sich Nikolai am meisten.
    »Ganz verändert!« sagte er lachend.
    »Wie? Bin ich häßlich geworden?«
    »Im Gegenteil, aber ich bemerke eine gewisse Würde – Fürstin«, flüsterte er.
    »Ja, ja, ja«, erwiderte Natalie freudig. Sie erzählte ihm ihren Roman mit dem Fürsten Andree und zeigte ihm seinen letzten Brief.
    »Bist du erfreut darüber?« fragte Natalie. »Ich bin jetzt so ruhig und glücklich.«
    »Ich freue mich sehr«, erwiderte Nikolai, »er ist ein vortrefflicher Mensch. Liebst du ihn sehr?«
    »Wie soll ich es dir sagen?« erwiderte Natalie. »Ich war verliebt in Boris, in den Lehrer, in Denissow, aber das war alles nicht das Richtige. Jetzt bin ich ruhig und zuversichtlich, ich weiß, daß es keinen besseren Menschen gibt.«
    Nikolai sprach Natalie sein Mißfallen darüber aus, daß die Hochzeit auf ein Jahr aufgeschoben war, aber sie bewies ihm mit Eifer, daß das nicht anders sein könne, daß es nicht angehe, in die Familie einzutreten gegen den Willen des Vaters. Nikolai stimmte ihr bei. Er war verwundert über ihre ruhige Heiterkeit, glaubte aber nicht, daß ihr Schicksal schon entschieden sei.
    »Wozu dieser Aufschub, und warum keine kirchliche Verlobung?« dachte er. Zu seiner Verwunderung bemerkte er, daß auch die Mutter zuweilen dieselben Gedanken hatte. »Lies, was er schreibt«, sagte die Gräfin mit jenem verborgenen Gefühl der Mißgunst, das die Mütter immer gegen das zukünftige Eheglück ihrer Töchter hegen. »Er schreibt, er könne vor Dezember nicht kommen. Was kann ihn dort zurückhalten? Wahrscheinlich Krankheit, seine Gesundheit ist sehr schwach. Gott gebe, daß alles noch gut wird!« schloß sie jedesmal. »Er ist ein vortrefflicher Mensch.«

108
    Die erste Zeit nach seiner Ankunft war Nikolai ernst und sogar verdrießlich. Die Notwendigkeit, sich in diese einfältigen Wirtschaftsangelegenheiten zu mischen, war ihm peinlich. Um sich die Sache schnell vom Halse zu schaffen, ging er am dritten Tage zornig und ohne auf die Frage, wohin er gehe, zu antworten, mit finsterer Miene in das Nebengebäude zu Mitenka und verlangte die Bücher und Rechnungen zu sehen. Aber die Abrechnung dauerte nicht lange. Der Aufseher und der Schreiber, welche im Vorhaus warteten, hörten mit einem Gemisch von Schrecken und Vergnügen, wie der junge Graf lärmte. Sie vernahmen schreckliche Schimpfworte in rascher Folge.
    »Räuber! Undankbares Pack!... Ich schlage den Hund nieder!... Hat geraubt und gestohlen!...« Und so weiter. Dann sahen die Leute mit demselben Schrecken und Vergnügen, wie der junge Graf mit rotem Gesicht Mitenka am Kragen hinauszog, ihn mit den Füßen und dem Knie stieß und schrie: »Hinaus! Lasse dich nicht wieder sehen, Schurke!« Mitenka flog die sechs Stufen hinab und lief in ein Gebüsch, in dem er sich immer verbarg, wenn er betrunken aus der Stadt kam und welches vielen Bewohnern von Otradno als Zuflucht vor Mitenkas Zorn bekannt war. Die Frau Mitenkas und ihre Schwester kamen aus dem Wohnzimmer erschrocken auf den Flur hinausgelaufen. Nikolai lief wutschnaubend an ihnen vorüber, ohne auf sie zu achten.
    Die Gräfin erfuhr sogleich durch ihre Zofe, was im Nebengebäude vorgegangen war. Einerseits war sie nun darüber beruhigt, daß jetzt ihre Vermögensumstände sich bessern werden, andererseits aber war sie besorgt, daß der Zorn ihrem Sohn schaden könne. Sie ging mehrmals auf den Zehenspitzen nach seinem Zimmer und horchte.
    Am andern Tag rief der alte Graf seinen Sohn zu sich und sagte ihm mit schüchternem Lächeln: »Weißt du, mein Seelchen, du hast dich unnütz geärgert. Mitenka hat mir alles aufgeklärt.«
    »Ich weiß«, dachte Nikolai, »daß ich in dieser einfältigen Welt niemals etwas begreifen werde.«
    »Du bist zornig darüber geworden, daß er diese siebenhundert Rubel nicht einschrieb, aber er hat sie im Transport mit aufgeführt, und du hast die andere Seite nicht angesehen.«
    »Papa, er ist ein Schurke und Räuber, das weiß ich, und was ich getan habe, das habe ich getan, aber wenn Sie wollen, werde ich ihm nichts weiter darüber sagen.«
    »Nein, mein Seelchen«, erwiderte der alte Graf verwirrt und verlegen, weil er fühlte, daß er ein schlechter Verwalter und Frau und Kindern gegenüber nicht vorwurfsfrei war, »nein, ich bitte dich, nimm dich der Geschäfte an! Ich bin schon alt, ich ... ich ...«
    »Nein, Papachen, entschuldigen Sie mich, wenn ich Ihnen

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