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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ihren Mann?« sagte die Hofdame mit kummervoller Gebärde. »Ach, sie ist eine unglückliche, entzückende Frau! Sprechen Sie nicht von ihm in ihrer Gegenwart, es ist ihr zu peinlich.«
    Fürst Boris und Anna Pawlowna kehrten zur Gesellschaft zurück. Das Gespräch wurde den ganzen Abend lebhaft fortgesetzt und betraf vorzugsweise politische Neuigkeiten. Als alle sich erhoben, um sich zu verabschieden, wandte sich Helene, welche den ganzen Abend sehr wenig gesprochen hatte, wieder an Boris mit der Bitte und einem freundlichen, bedeutsamen Befehl, sie am Dienstag zu besuchen.
    »Es ist sehr notwendig«, sagte sie lächelnd. Sie schien an diesem Abend bei den Erzählungen Boris' über die preußische Armee plötzlich die Notwendigkeit entdeckt zu haben, ihn zu sprechen.
    Am Dienstagabend trat Boris in den prachtvollen Salon Helenes. Er erhielt jedoch keine Erklärung über die Notwendigkeit seines Besuches. Es waren noch andere Gäste anwesend, die Gräfin sprach wenig mit ihm, und erst beim Abschied, als er ihre Hand küßte, flüsterte sie ihm zu: »Speisen Sie morgen bei mir! Morgen abend, Sie müssen durchaus kommen!«
    Während seiner Anwesenheit in Petersburg stand Boris in intimem Verkehr mit dem Hause der Gräfin Besuchow.

80
    Der Schauplatz des schnell entbrennenden Krieges näherte sich den russischen Grenzen. Überall hörte man Verwünschungen des Feindes des Menschengeschlechts, Bonaparte. In den Dörfern wurden alte Soldaten und Rekruten ausgehoben und vom Kriegsschauplatz kamen widersprechende Ansichten.
    Im Leben des alten Grafen Bolkonsky, des Fürsten Andree und der Fürstin Marie hatte sich seit dem vorigen Jahr vieles geändert. Der alte Fürst war zu einem der acht Oberkommandierenden des Landsturms ernannt worden. Trotz seines Alters und seiner greisenhaften Schwäche, welche sich besonders seit jener Zeit bemerkbar machte, wo er seinen Sohn für tot gehalten hatte, hielt er sich nicht für berechtigt, sich von diesem Dienst zurückzuziehen, zu dem er vom Kaiser selbst ernannt worden war, und diese neue Tätigkeit belebte und kräftigte ihn. Er fuhr beständig in den ihm unterstellten Gouvernements umher, war pedantisch pünktlich in seinen Obliegenheiten und streng bis zur Grausamkeit gegen Untergebene. Fürstin Marie erhielt keine Lektionen in der Mathematik mehr, besuchte aber morgens ihren Vater, wenn er zu Hause war. Der kleine Fürst Nikolai wohnte mit seiner Amme Sawischna in den Zimmern seiner verstorbenen Mutter, und die Fürstin Marie brachte den größten Teil des Tages im Kinderzimmer zu, um dem kleinen Neffen die Mutter zu ersetzen, so gut sie konnte. Auch Mademoiselle Bourienne schien den Kleinen leidenschaftlich zu lieben.
    Bald nach der Rückkehr des Fürsten Andree hatte der alte Fürst eine Vermögensteilung vorgenommen und ihm das große Gut Bogutscharowo, vierzig Werft von Lysy Gory entfernt, übergeben. Die traurigen Erinnerungen und die Schwierigkeit, mit dem Charakter des Alten auszukommen, sowie das Bedürfnis nach Einsamkeit veranlaßte den Fürsten Andree, sich in Bogutscharowo niederzulassen, wo er meist seine Tage verbrachte.
    Am 26. Februar 1807 machte der Alte wieder eine Fahrt im nächsten Landkreis, und Fürst Andree blieb in Lysy Gory, wie fast immer während der Abwesenheit seines Vaters. Sein kleiner Sohn war schon seit vier Tagen unwohl. Der Kutscher, welcher den alten Fürsten zur Stadt gefahren hatte, kehrte zurück und brachte Zeitungen und Briefe für den Fürsten Andree, welcher im Kinderzimmer saß und mit zitternden Händen Tropfen aus einer Medizinflasche in ein Glas zählte, das halb mit Wasser gefüllt war.
    »Was gibt's?« rief er ärgerlich und eine größere Menge Tropfen floß in das Glas. Er goß es auf den Fußboden aus und begann wieder die Tropfen zu zählen. Im Zimmer stand ein Kinderbett, einige Stühle und ein Tisch, sowie ein Kindertisch mit einem Stühlchen, auf welchem einst Fürst Andree gesessen hatte. Die Fenster waren verhängt. Auf dem Tisch brannte eine Kerze hinter einem Notenheft, das als Lichtschirm diente.
    »Höre, Andree«, sagte Marie vom Bettchen her, an dem sie stand, »es ist besser, noch zu warten ... später!«
    »Ach, Unsinn! Immer warten und warten«, flüsterte Fürst Andree. Es war schon die zweite Nacht, daß die beiden nicht schliefen und bei dem fiebernden Kleinen wachten. Fürst Andree traute seinem Hausarzt nicht, und während er einen Arzt aus der Stadt erwartete, wurde bald dieses, bald jenes Mittel versucht.

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