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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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den Nächsten zu opfern, und zahlen nicht ihre Beiträge von einem Rubel zu den Sammlungen für die Armen, intrigieren gegeneinander, zerbrechen sich die Köpfe über einen echten schottischen Teppich und über einen Aktus, der für niemand nötig ist und dessen Sinn niemand versteht, auch der nicht, der ihn geschrieben hat.« Er hatte die unglückliche Fähigkeit vieler, besonders russischer Leute, an die Möglichkeit des Guten und der Wahrheit zu glauben, dabei aber doch zu deutlich das Böse und die Lüge im Leben wahrzunehmen, um ernsthaften Anteil am Leben nehmen zu können. Aber er mußte doch leben und eine Beschäftigung haben, es war zu schrecklich, unter dem Druck dieser ungelösten Lebensfragen zu bleiben, und er gab sich den Zerstreuungen hin, nur um jene zu vergessen. Er besuchte Gesellschaften aller Art, trank viel, kaufte Bilder, baute und las alles, was ihm in die Hände fiel. Kaum hatte ihm der Diener beim Nachhausekommen den Mantel abgenommen, so griff er schon nach einem Buch und las, bis er einschlief. Wein zu trinken wurde ihm immer mehr eine physische und zugleich geistige Notwendigkeit. Obgleich ihm die Ärzte sagten, bei seiner Korpulenz sei der Wein für ihn gefährlich, trank er doch sehr viel. Erst wenn er einige Gläser Wein in seinen großen Schlund hinabgegossen hatte, empfand er eine angenehme Wärme, eine Zärtlichkeit für seine Nebenmenschen. Erst wenn er eine oder zwei Flaschen getrunken hatte, erkannte er in unbestimmter Weise, daß jener schrecklich verwirrte Knoten des Lebens nicht so schrecklich sei, wie ihm sonst schien. Zuweilen dachte Peter daran, daß man ihm erzählt hatte, wie die Soldaten im Kriege, wenn sie im Feuer stehen, ohne etwas tun zu können, sich bemühen, eine unbedeutende Beschäftigung für sich zu finden, um die Gefahr leichter zu ertragen, und so erschienen ihm auch alle Menschen nur bemüht, sich vor der Last des Lebens zu retten durch Ehrgeiz, durch Karten, durch Arbeit an der Gesetzgebung, durch Weiber, durch irgendein Spielzeug, oder durch Pferde, durch Politik, Jagd, Wein oder Staatsangelegenheiten. Nein, es gibt nichts Unbedeutendes und nichts Wichtiges, es ist alles gleich, nur muß man sich vor dem Druck des Lebens retten, so gut man kann.

112
    Am Anfang des Winters war der alte Fürst Bolkonsky mit seiner Tochter nach Moskau gereist. Seiner Vergangenheit, seinem Geist und seiner Originalität zufolge und besonders weil das Entzücken über die Regierung des Kaisers Alexander sich abschwächte, wurde er sogleich der Gegenstand besonderer Verehrung der Moskauer und der Mittelpunkt der moskauischen Opposition gegen die Regierung.
    Der Fürst war in diesem Jahre sehr gealtert. Plötzliches Einschlafen, Vergeßlichkeit und die kindische Ehrfurcht, mit der er die Rolle eines Hauptes der moskauischen Opposition übernahm, waren scharfe Anzeichen des Alters. In letzter Zeit war für Marie das Leben schwer geworden. In Moskau fehlten ihr ihre gewohnten Freuden, die Unterredungen mit gottesfürchtigen Pilgersleuten und die Einsamkeit. Sie verkehrte nicht in der Welt, alle wußten auch, daß ihr Vater sie nicht ohne seine Begleitung ausgehen lasse und er selbst wegen seiner Kränklichkeit nicht ausgehen könne. Deswegen erhielt sie auch keine Einladungen. Die Hoffnung auf eine Heirat hatte die Fürstin Marie ganz aufgegeben. Sie sah, mit welcher Kälte und Bosheit der alte Fürst die jungen Leute empfing, die vielleicht mit Heiratsabsichten kamen. Freundinnen hatte Marie auch nicht, denn auf dieser Reise hatte sie zwei Enttäuschungen erfahren: in bezug auf Mademoiselle Bourienne, welche ihr ganz widerlich geworden war und von der sie sich jetzt fernhielt, dann auch in bezug auf Julie, mit der sie fünf Jahre lang korrespondiert hatte, die sich ihr aber jetzt ganz fremd erwies, als Marie sie persönlich vor sich sah. Julie befand sich in einem Strudel von gesellschaftlichen Vergnügungen. Sie war als reiche Erbin von jungen Leuten umgeben, welche, wie sie glaubte, plötzlich ihre Vorzüge erkannt hatten. Sie befand sich in der Periode einer alternden Weltdame, die fühlt, daß die letzte Chance der Verheiratung gekommen sei, und jetzt oder niemals ihr Schicksal sich entscheiden müsse.
    Fürstin Marie hatte in Moskau niemand, mit dem sie sprechen und dem sie ihren Kummer anvertrauen konnte, und die Ursache zum Kummer hatte sich in dieser Zeit sehr vermehrt. Der Termin zur Rückkehr des Fürsten Andree und seiner Heirat kam heran, aber sein Auftrag, den Vater

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