Krieg und Frieden
Mutter zielten, und bei der nächsten Gelegenheit forderte er sie zu vollkommener Aufrichtigkeit heraus. Sie sagte ihm, ihre ganze Hoffnung beruhe jetzt auf seiner Heirat mit Julie.
»Und wenn ich nun ein Mädchen ohne Vermögen lieben würde, Mama, würden Sie dann etwa verlangen, daß ich meine Gefühle und meine Ehre wegen des Vermögens aufopfere?« fragte er, ohne die Grausamkeit seiner Frage zu begreifen, nur in dem Wunsche, seinen Edelmut an den Tag zu legen.
»Nein, du hast mich nicht verstanden«, sagte die Mutter, da sie nicht wußte, wie sie sich rechtfertigen sollte, »ich wünsche nur dein Glück!« Aber sie wurde verlegen und brach in Tränen aus.
»Mama, weinen Sie nicht! Sagen Sie mir nur alles, was Sie wollen! Ich bin bereit, alles, auch meine Gefühle, aufzuopfern für Ihre Ruhe!« sagte Nikolai.
Aber die Gräfin wünschte nicht, die Frage so hinzustellen. Sie wollte kein Opfer von ihrem Sohn, sondern war selbst bereit, sich für ihn aufzuopfern.
»Nein, du hast mich nicht verstanden, sprechen wir nicht weiter davon.«
»Ja, vielleicht liebe ich ein armes Mädchen«, sagte sich Nikolai. »Soll ich deshalb Sonja nicht lieben, weil sie arm ist? Ich werde sicher mit ihr glücklicher sein als mit solch einer Puppe wie diese Julie.«
Nikolai fuhr nicht nach Moskau, und die Gräfin erneuerte ihre Gespräche über eine Heirat nicht mehr. Mit Kummer und zuweilen mit Groll sah sie die Anzeichen einer wachsenden Annäherung zwischen ihrem Sohn und Sonja. Sie wurde zänkisch und hart gegen Sonja, redete sie mit »Sie« und »meine Liebe« an, obgleich sie sich selbst darüber Vorwürfe machte.
Nikolai blieb bis zum Ende seines Urlaubs bei den Eltern. Von Fürst Andree kam der vierte Brief aus Rom, in dem er schrieb, er wäre schon längst auf dem Wege nach Rußland, wenn nicht ganz unerwartet in dem warmen Klima seine Wunde aufgegangen wäre, was ihn genötigt habe, seine Abreise bis zum Anfang des folgenden Jahres aufzuschieben. Natalie liebte ihren Bräutigam noch ebenso und war empfänglich für alle Freuden des Lebens, aber am Ende des vierten Monats der Trennung traten Augenblicke des Kummers ein, den sie nicht bekämpfen konnte.
Im Hause Rostow wurde es immer trüber.
110
Zu Beginn des neuen Jahres kündigte Nikolai seiner Mutter seinen festen Entschluß an, Sonja zu heiraten. Die Gräfin hatte schon lange bemerkt, was zwischen Sonja und Nikolai vorging und diese Erklärung erwartet. Schweigend hörte sie ihren Sohn an und sagte ihm, er könne heiraten, wen er wolle, aber weder sie noch der Vater würden ihm ihren Segen dazu geben. Zum erstenmal sah Nikolai, daß seine Mutter unzufrieden mit ihm war und daß sie bei aller Liebe für ihn nicht nachgeben werde. Kalt und ohne ihren Sohn anzusehen, sandte sie nach ihrem Mann, und als dieser kam, wollte die Gräfin ihm in Gegenwart Nikolais kurz und gut erklären, um was es sich handelte, aber sie konnte sich nicht halten, brach in Tränen des Verdrusses aus und verließ das Zimmer.
Der Graf begann Nikolai mit zaghaften Worten ins Gewissen zu reden und bat ihn, sein Vorhaben aufzugeben. Nikolai aber antwortete, er könne sein Wort nicht brechen. Der Vater schloß seufzend und augenscheinlich verlegen seine Ermahnungen und ging zur Gräfin. Bei allen Zusammenstößen mit seinem Sohn verließ den Grafen nicht sein Schuldbewußtsein wegen seiner schlechten Wirtschaftsführung und deshalb vermochte er nicht, gegen seinen Sohn zornig aufzutreten. Er mußte sich sogar sagen, wenn seine Umstände nicht zerrüttet wären, so könnte man für Nikolai keine bessere Frau als Sonja wünschen. Er wußte, daß an diesem Zustand nur er allein mit seinem Mitenka, seiner Lässigkeit und Bequemlichkeit die Schuld trage.
Die Eltern sprachen nicht mehr über die Sache mit dem Sohn, aber einige Tage darauf rief die Gräfin Sonja zu sich. Mit einer Erbitterung, die beiden unerwartet war, warf die Gräfin ihrer Nichte vor, daß sie ihren Sohn ins Netz ziehen wolle und ein undankbares Geschöpf sei. Schweigend hörte Sonja die grausamen Worte der Gräfin an und begriff nicht, was man von ihr verlangte. Sie war bereit, alles für ihre Wohltäter zu opfern, aber in diesem Fall begriff sie nicht, wen und was sie opfern sollte. Sie liebte die Gräfin und die ganze Familie, konnte aber nicht aufhören, auch Nikolai zu lieben und mußte sich gestehen, daß ihr Glück von dieser Liebe abhänge. Gedrückt und kummervoll fand sie keine Antwort. Nikolai glaubte dieses Leben nicht
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