Krieg und Frieden
Kleides.
Unwillkürlich bewunderte Natalie die Schönheit dieser Schultern und Perlen. Die Dame wandte sich um, und als sie den Blicken des alten Grafen begegnete, nickte sie ihm lächelnd zu. Das war die Gräfin Besuchow, Peters Frau. Der alte Graf, welcher alle Welt kannte, redete sie sogleich an.
»Sind Sie schon lange hier, Gräfin?« fragte er. »Ich werde kommen und Ihr Händchen küssen! Ich bin in Geschäften hierhergekommen und habe meine Mädchen mitgebracht! Die Semenow spielt unvergleichlich!« schwatzte der alte Graf. »Graf Peter hat uns nicht vergessen! Ist er hier?« »Ja, er wollte auch kommen«, erwiderte Helene und blickte Natalie forschend an.
Der alte Graf setzte sich wieder auf seinen Platz.
»Hübsch, nicht wahr?« flüsterte er Natalie zu.
»Wunderbar«, erwiderte Natalie, »man könnte sich in sie verlieben.«
Die Ouvertüre ging zu Ende. Der Vorhang erhob sich, in den Logen und im Parterre wurde es still, und alle die alten und jungen Herren in Uniformen und Fräcken, alle die Damen mit Brillanten auf dem nackten Körper blickten gespannt nach der Bühne.
119
Auf der Bühne waren in der Mitte ebene Bretter, auf den Seiten standen gemalte Bilder, welche Bäume vorstellten, im Hintergrund erstreckte sich Leinewand bis auf die Bretter herab. In der Mitte der Szene saßen Mädchen in roten Taillen und weißen Röcken. Die eine davon, eine sehr dicke Dame in weißem Seidenkleid, saß beiseite auf einem niedrigen Schemel. Alle sangen etwas. Als sie ihr Lied beendigt hatten, trat das Mädchen im weißen Kleid bis an den Souffleurkasten vor, und ein Mann in seidenen straffgespannten Beinkleidern auf den dicken Beinen trat mit einer Feder und einem Dolch auf sie zu, sang etwas und machte Gebärden mit den Armen dazu.
Der Mann mit den straffgespannten Beinkleidern sang allein, dann sang sie, darauf schwiegen beide. Die Musik spielte weiter, und der Mann erfaßte die Hand des Mädchens im weißen Kleid, und man sah, wie er auf den Takt wartete, um seine Partie mit ihr gleich zu beginnen. Sie sangen zu zweien, und alles im Theater begann zu klatschen und zu schreien, worauf der Mann und das Mädchen auf der Szene, welche Verliebte vorstellten, sich lächelnd verneigten.
Nach dem Landaufenthalt und in der ernsten Stimmung, in der sich Natalie befand, erschien ihr das alles seltsam und erstaunlich. Sie vermochte dem Gang der Oper nicht zu folgen. Sie sah nur die seltsam gekleideten Männer und Frauen im hellen Licht, welche so sonderbare Bewegungen machten, sprachen und sangen. Bald blickte sie nach den pomadisierten Köpfen im Parterre, bald nach den entblößten Damen in den Logen, besonders ihrer Nachbarin Helene, die, fast ganz entkleidet, mit ruhigem Lächeln auf die Bühne herabblickte. Als auf der Bühne alles still wurde, vor dem Anfang einer Arie, kreischte die Eingangstür zum Parterre auf der Seite, wo Rostows Loge war, und die Schritte eines Verspäteten wurden hörbar.
»Da ist er! Kuragin!« flüsterte Schinschin. Die Gräfin Besuchow blickte sich lächelnd nach dem Eintretenden um. Natalie, die ihrem Blick folgte, sah einen ungewöhnlich hübschen Adjutanten, welcher mit zuversichtlichem und zugleich höflichem Wesen sich ihrer Loge näherte. Das war Anatol Kuragin, welchen Natalie auf dem Ball in Petersburg gesehen hatte. Er trug jetzt die Uniform eines Adjutanten mit einer Epaulette und Achselbändern. Sein tänzelnder, dreister Gang wäre lächerlich erschienen, wenn er nicht so hübsch gewesen wäre und wenn nicht sein Gesicht einen solchen Ausdruck von gutmütiger Selbstzufriedenheit und Heiterkeit gezeigt hätte. Obgleich die Handlung ihren Fortgang nahm, schritt er ohne Übereilung, mit den Sporen und dem Säbel klirrend, gemütlich und mit hocherhobenem Kopfe über den Teppich des Ganges. Mit einem Blick auf Natalie näherte er sich seiner Schwester, legte die Hand auf den Rand ihrer Loge, winkte ihr mit dem Kopf zu und machte eine Frage, indem er auf Natalie deutete.
»Sehr, sehr niedlich!« sagte er, augenscheinlich über Natalie. Dann setzte er sich in die erste Reihe neben Dolochow und stieß mit dem Ellbogen nachlässig diesen Dolochow an, gegen den sich alle mit solchem Respekt benahmen.
»Wie ähnlich Bruder und Schwester sind!« sagte der Graf. »Und wie schön sind beide!« Schinschin erzählte dem Grafen halblaut eine Intrige Kuragins in Moskau, und Natalie horchte darauf, weil er über sie gesagt hatte »sehr niedlich«.
Der erste Akt ging zu Ende. Alles
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