Krieg und Frieden
heraus und tanzten alle zugleich, während die Violine sehr fein und heiter dazu spielte. Eines der Mädchen mit dicken, nackten Beinen und hageren Armen trennte sich von den übrigen, ging in die Kulissen, zog ihre Taille zurecht, kam in die Mitte heraus und begann zu springen und die Beine auszuwerfen. Im Parterre klatschte alles mit den Händen und schrie Bravo. Dann stellte sich ein Mann in eine Ecke, im Orchester wurde noch lauter gespielt mit Pauken und Trompeten, und dieser Mann mit nackten Beinen begann sehr hoch zu springen und mit den Beinen zu zappeln. Der Mann war Duport, welcher sechzigtausend Francs jährlich für diese Kunst erhielt. Im Parterre und in den Logen klatschte und schrie alles aus aller Kraft, und der Tänzer blieb stehen und verbeugte sich lächelnd nach allen Seiten. Dann tanzten noch andere Männer und Mädchen mit nackten Beinen, dann schrie der Zar wieder etwas dazwischen und alle begannen zu singen. Aber plötzlich entstand ein Sturm, im Orchester hörte man chromatische Läufe und Akkorde, alle sprangen auf und zogen wieder eine der Personen hinter die Kulissen, worauf der Vorhang fiel. Wieder erhob sich bei den Zuschauern ein schrecklicher Lärm, und alles schrie mit entzückten Gesichtern: »Duport! Duport!« Natalie fand das nicht mehr seltsam und blickte sich lachend um.
»Nicht wahr, Duport ist entzückend?« sagte Helene.
»O ja«, erwiderte Natalie.
120
Im Zwischenakt öffnete sich die Tür zu Helenes Loge, und Anatol trat ein. »Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Bruder vorzustellen!« Natalie wandte über ihre nackte Schulter ihr hübsches Köpfchen Anatol zu. Er setzte sich zu ihr und sagte, er habe schon lange nach diesem Vergnügen getrachtet. Kuragin war in Gesellschaft von Damen viel geistreicher und einfacher als unter Männern. Er sprach ungezwungen und einfach, und Natalie sah mit Erstaunen, daß an diesem Menschen nicht nur nichts Schreckliches zu bemerken war, wovon sie so viel gehört hatte, sondern im Gegenteil nur ein naives, heiteres Lächeln. Kuragin fragte, wie Natalie die Oper gefalle, und erzählte, wie neulich die Semenow während der Vorstellung gefallen sei.
»Wissen Sie, Gräfin«, sagte er plötzlich, wie zu einer alten Bekannten, »wir werden ein Karussell in Kostümen aufführen, Sie sollten daran teilnehmen! Es wird sehr heiter werden, alle versammeln sich bei Acharow. Ich bitte, kommen Sie! Nicht wahr?«
Während er sprach, ließ er seine lächelnden Blicke über ihr Gesicht, ihren Hals und ihre bloßen Arme schweifen. Natalie sah mit Vergnügen, daß er entzückt war, aber dennoch wurde ihr seine Gegenwart drückend. Wenn sie ihn nicht ansah, fühlte sie seinen Blick auf ihren Schultern, und unwillkürlich wandte sie sich um und fing seinen Blick auf, damit er ihr lieber in die Augen sehe. Wenn sie sich aber in die Augen sahen, so fühlte sie mit Schrecken, daß zwischen ihm und ihr nicht jene Schranke der Schamhaftigkeit bestehe, welche sie immer zwischen sich und anderen Männern fand. Sie sprachen von den einfachsten Dingen und doch fühlte sie, daß sie ihm so nahe stehe wie niemals einem Mann. Natalie blickte nach Helene und nach ihrem Vater, als ob sie fragen wollte, was das bedeute. Aber Helene war im Gespräch mit einem General, und der Blick ihres Vaters sagte ihr nichts, als wie immer: »Bist du vergnügt? Nun, das freut mich!«
In einem Augenblick, als Schweigen eintrat, währenddessen seine glänzenden Augen ruhig und hartnäckig auf sie gerichtet waren, fragte ihn Natalie, um dieses Schweigen zu brechen, wie ihm Moskau gefalle, und errötete. Beständig hatte sie das Gefühl, daß sie etwas Unpassendes tue oder spreche. Anatol lächelte ermutigt.
»Anfangs gefiel es mir schlecht, denn was macht eine Stadt angenehm? Das sind hübsche Damen, nicht wahr? Nun, jetzt gefällt es mir sehr!« sagte er mit einem bedeutsamen Blick. »Sie kommen zu dem Karussell, Gräfin? Bitte, kommen Sie!« drängte er, streckte die Hand nach ihrem Bukett aus und sagte mit leiser Stimme: »Sie werden die Schönste sein! Bitte, kommen Sie, liebe Gräfin, und geben Sie mir zum Pfand diese Blumen!«
Natalie verstand das, was er sagte, nicht so wie er selbst, aber sie fühlte, daß in den ihr unverständlichen Worten ein versteckter, unerlaubter Sinn lag. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte und wandte sich ab, als ob sie nicht gehört hätte, was er sagte.
»Was macht er jetzt? Ist er verwirrt, erzürnt? Soll ich das wieder gutmachen?« fragte sie sich
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