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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ist der Kreuzweg! Auch Sascha hat immer noch dasselbe Pferd an seiner Droschke! Hier ist auch der kleine Laden, wo wir Pfefferkuchen kauften! Nun schnell!«
    »Nach welchem Haus?« fragte der Kutscher.
    »Dort am Ende, in das große Haus! Siehst du denn nicht? Das ist unser Haus«, erwiderte Rostow. »Denissow, Denissow, wir sind gleich da!«
    Denissow hob den Kopf auf, gab aber keine Antwort.
    »Dmitri«, sagte Rostow zu dem Kutscher, »ist bei uns noch Licht?«
    »Ja, Herr, auch im Kabinett des alten Herrn ist's hell.«
    »Ob sie sich schon schlafen gelegt haben, was meinst du? Vorwärts!« schrie er dem Kutscher zu. »Aber wache doch auf, Denissow!«
    Endlich fuhr der Schlitten unter der Einfahrt vor. Wieder sah er über sich das bekannte Karnies von Stukkatur und den Laternenpfosten. Noch ehe der Schlitten hielt, sprang er heraus und eilte in die Vorhalle. Das Haus stand noch so unbeweglich wie immer, und es schien ihm ganz gleichgültig zu sein, wer ankam. In der Vorhalle war niemand.
    »Mein Gott, ist auch alles wohl?« dachte Rostow und angstvoll eilte er weiter, die bekannte Treppe hinauf. Im Vorzimmer brannte eine Talgkerze, der alte Michail schlief auf einer Truhe. Prokofi, welcher so stark war, daß er einen Wagen am Hinterrad aufheben konnte, blickte nach der Tür und seine verschlafene Miene zeigte plötzlich freudigen Schrecken.
    »Der junge Graf!« rief er. »Wirklich, mein Täubchen!«
    »Ist alles gesund?« fragte Rostow.
    »Gott sei Dank! Sie haben eben gespeist. Aber lasse dich ansehen, Erlaucht!«
    »Ist alles ganz wohl?«
    »Gott sei Dank! Gott sei Dank!«
    Rostow hatte Denissow ganz vergessen. Er warf den Pelz ab und trat auf den Zehenspitzen in den dunklen, großen Saal. Immer noch dieselben Kartentische und Kronleuchter! Aber jemand hatte den jungen Herrn schon gesehen, und plötzlich kam wie ein Sturmwind aus einer Seitentür jemand heraus, umarmte und küßte ihn. Noch eine zweite und dritte Tür öffnete sich, es folgten wieder Umarmungen, Küsse und Freudentränen. Er konnte nicht unterscheiden, wo und wer Papa, wer Natalie und wer Peterchen war. Alle schrien durcheinander und küßten ihn zu gleicher Zeit. »Da ist er wieder, unser Nikoluschka! Wie hat er sich verändert! Bringt Licht! Tee! Küsse mich doch auch! Und mich auch! Mein Seelchen!« sprachen alle durcheinander. Sonja hielt errötend, mit strahlenden Blicken seinen Arm. Sie war schon sechzehn Jahre alt und sehr hübsch geworden, besonders in diesen Augenblicken des Entzückens. Sie wandte die Augen nicht von ihm ab. Er blickte sie dankbar an, aber suchte und erwartete immer noch jemand. Die alte Gräfin war noch nicht da; endlich hörte er im Nebenzimmer Schritte, aber die Schritte waren so rasch, daß sie nicht die seiner Mutter sein konnten.
    Aber sie war es doch, in einem neuen, ihm noch unbekannten Kleid. Alle traten von ihm zurück, und er eilte der Mutter entgegen, die ihm weinend um den Hals fiel.
    Denissow war unbemerkt ins Zimmer getreten und rieb sich die Augen. »Wassil Denissow, Freund Ihres Sohnes!« sagte er, indem er sich dem Grafen vorstellte, der ihn fragend angeschaut hatte.
    »Sehr erfreut! Ich weiß, ich weiß!« sagte der Graf, umarmte und küßte Denissow. »Mein Sohn hat mir geschrieben. Natalie, Wera! Hier ist Denissow!«
    Dieselben glücklichen und entzückten Gesichter wandten sich jetzt auch Denissow zu. »Teurer Freund!« rief Natalie, welche in Entzücken schwamm. Sie umarmte und küßte ihn. Alle blickten sie mißbilligend an, auch Denissow errötete, ergriff lachend die Hand Natalies und küßte sie. Nachdem Denissow in ein für ihn bereitstehendes Zimmer geführt worden war, versammelten sich alle im Salon um Nikolai. Die alte Gräfin ließ seine Hand nicht los und küßte sie jeden Augenblick, die anderen drängten sich um ihn und beobachteten jede seiner Bewegungen, Äußerungen und Blicke. Rostow war sehr erfreut über die Liebe, mit der ihn alle empfingen, aber der erste Augenblick war so entzückend gewesen, daß sein jetziges Glück ihm gering erschien und er immer noch etwas Höheres erwartete.
    Am anderen Morgen schliefen die Reisenden bis zehn Uhr. Im Vorzimmer lagen Säbeltaschen, offene Koffer, schmutzige Stiefel umher. Die Diener brachten heißes Wasser zum Rasieren und gereinigte Kleider und Stiefel. Rostow rieb die verschlafenen Augen. »Ist's schon spät?« fragte er.
    »Zehn Uhr!« erwiderte Natalies Stimme, und im Nebenzimmer hörte man das Rauschen gestärkter Kleider,

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