Krieg und Frieden
ich ihm selbst sagen, sobald ich ihn sehe.«
»Oho!« rief Rostow wieder.
»Aber das sind alles Dummheiten«, schwatzte Natalie weiter. »Sage mir, ist Denissow ein guter Mensch?« fragte sie.
»O ja, sehr gut.«
»Nun kleide dich an! Aber ich denke, er ist abscheulich, dein Denissow!«
»Abscheulich?« fragte Nikolai. »Nein, Wasska ist ein prächtiger Junge!«
»Wasska nennst du ihn? Sonderbar!... Er ist also wirklich gut?«
»Ja, sehr gut.«
»Nun beeile dich, komme bald zum Tee, wir trinken alle miteinander.«
Natascha stellte sich auf die Fußspitzen und tänzelte aus dem Zimmer wie eine Tänzerin. Als Rostow im Salon Sonja traf, errötete er und wußte nicht, wie er sich gegen sie verhalten sollte. Gestern, in den ersten Augenblicken des freudigen Wiedersehens, hatten sie sich geküßt, heute aber fühlten sie, daß das jetzt nicht mehr angehe. Er hatte die Empfindung, als ob alle, auch Mutter und Schwestern, ihn fragend und erwartungsvoll ansähen, wie er sich benehmen werde. Er küßte ihre Hand und redete sie mit »Sie« an, aber ihre Augen begegneten sich und sagten deutlich und zärtlich »du«. Sie bat ihn durch ihren Blick um Verzeihung dafür, daß sie gewagt hatte, in der Botschaft Natalies ihn an sein Versprechen zu erinnern, und dankte ihm für seine Liebe. Er dankte ihr durch seinen Blick dafür, daß sie ihm die Freiheit angeboten hatte, und sagte, er werde nie aufhören, sie zu lieben.
»Aber wie seltsam«, bemerkte Wera in einem Augenblick allgemeinen Schweigens, »daß Sonja und Nikolai sich so fremd begegnen und sich mit ›Sie‹ anreden!« Die Bemerkung Weras war richtig, wie alle ihre Bemerkungen, aber wie die meisten derselben machte sie einen ungeheuerlichen Eindruck, und nicht nur auf Sonja, Nikolai und Natalie, sondern auch auf die alte Gräfin, welche diese Liebe ihres Sohnes zu Sonja fürchtete, die ihn einer glänzenden Partie berauben konnte. – Alle erröteten wie ein Mädchen.
Denissow erschien zum Erstaunen Rostows in einer neuen Uniform, pomadisiert und parfümiert und ebenso stutzerhaft wie damals in der Schlacht und benahm sich mit einer Liebenswürdigkeit gegen Damen und Herren, welche Rostows Erwartungen weit übertraf.
60
Bei allen Verwandten und Bekannten wurde Rostow als liebenswürdiger, angenehmer junger Mann, als hübscher Husarenleutnant, gewandter Tänzer und als eine der besten Partien Moskaus vorzüglich empfangen. Zu den Bekannten im weiteren Sinne gehörte ganz Moskau. Dem alten Grafen fehlte es in diesem Jahre nicht an Geld, weil alle Güter nochmals verpfändet wurden, und deshalb brachte Nikolai die Zeit sehr vergnügt zu. Er hielt sein eigenes Pferd, hatte ganz besondere moderne Reithosen, wie sie in Moskau noch nicht zu sehen waren, und ebenso moderne Stiefel mit den schärfsten Spitzen und kleinen silbernen Sporen. Er glaubte, sehr gewachsen und männlich geworden zu sein. Er ritt, als Husarenleutnant mit dem Georgenkreuz auf der Brust, mit bekannten Lebemännern spazieren, dirigierte die Masurka auf den Bällen bei Acharow, sprach mit dem Feldmarschall Kaminsky über den Krieg, war Mitglied im englischen Klub und duzte sich mit einem vierzigjährigen Oberst, mit dem ihn Denissow bekannt gemacht hatte.
Während dieses kurzen Aufenthalts in Moskau kam er nicht dazu, sich Sonja zu nähern, sie wurden einander eher fremder. Sie war sehr gut und liebenswürdig und augenscheinlich leidenschaftlich verliebt in ihn, aber er befand sich in der Periode der Jugend, wo man so unendlich viel zu tun hat, daß dafür gar keine Zeit übrigbleibt, und wo ein junger Mensch eifersüchtig auf seine Freiheit ist und sich davor fürchtet, sich zu binden. Außerdem erschien ihm die weibliche Gesellschaft auch erniedrigend für seine Männlichkeit. Er stellte sich an, als ob er widerwillig auf Bälle fahre. Der englische Klub dagegen, Gelage und Umherschwärmen mit Denissow und anderen Lebemännern, das war etwas anderes, das schickte sich besser für einen jungen Husaren.
Anfang März war der alte Graf Rostow sehr mit dem Arrangement eines Diners im englischen Klub zum Empfange des Fürsten Bagration beschäftigt.
»Ich glaube, Papachen, Sie haben jetzt mehr Sorgen mit dieser Geschichte, als Bagration damals hatte, als er sich zum Gefecht bei Schöngraben aufstellte.«
Der alte Graf stellte sich erzürnt. »Was schwatzest du da? Versuche es doch selbst einmal!« Dann rief der Graf den Koch, der ehrerbietig Vater und Sohn angrinste. »Siehst du, Feoktist, das ist
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