Kriegsgebiete
vermintes Gelände war. Bei jedem Rascheln einer
Popcorn-Tüte zuckte Daniel zusammen. Zu viel Popcorn um ihn
herum. Zu viele Menschen. Unkontrolliert. Selbst im großen Saal
mit viel Beinfreiheit. Orte, an denen sich Menschen treffen, waren
ein bevorzugtes Anschlagsziel. Der Kinobesuch war Teil der Therapie.
Der Angstpatient, also ich, dachte Daniel, muss sich mit den
angstauslösenden Reizen konfrontieren. Doktor Hamann fragte zu
Beginn jeder Sitzung nach dem Kino.
Außerdem
jeden Abend ein langes Telefongespräch mit Timo. Seit ihrer
gemeinsamen Zeit in Afghanistan war der Kontakt nie abgerissen. Sie
waren sich wichtig. Zuviel miteinander erlebt, um es anderen Menschen
erklären zu können. Anderen, die nicht dabei gewesen waren.
Maik
stand auf.
»Ich
finde es wichtig, dass du eine geregelte Tagesstruktur hast«,
sagte er.
Daniel
schaute Maik skeptisch an.
»Hört
sich an, als wäre ich ein Pflegefall. Für Demenzkranke ist
Tagesstruktur wichtig.«
»Für
alle ist Tagesstruktur wichtig«, antwortete Maik, als wäre
er ein überzeugter Verfechter geregelten Lebens.
»Sagt
der Meister aufgeräumten Daseins. Was steht auf deinem
Dienstagsprogramm?«
»Du
weißt, dass ich es lieber ein bisschen spontan angehe.
Spontaneität ist meine Ordnung. Später muss ich noch ein
paar Pakete zur Post bringen.«
Maik
war Mitte vierzig und vertickte Vinyl-Schallplatten über diverse
Auktionsplattformen im Internet. Deshalb trieb er sich regelmäßig
in Secondhandläden, bei Wohnungsauflösungen und auf
Flohmärkten herum, um den Leuten ein paar Schmuckstücke
abzuluchsen, deren Wert unerkannt geblieben war. Er jagte
Schnäppchen, die viel zu billig abgegeben wurden. Oder am besten
gleich gratis. Am allerliebsten erwarb er ganze
Schallplattensammlungen. Da war immer was dabei. Die meisten wollen
irgendwann, dass Platz wird in ihrem Leben. Wenn es so weit ist,
verkaufen sie als Erstes die Plattensammlung. Vinyl hat ein ganz
schönes Gewicht. Maik trug es bereitwillig weg. Um es
anschließend an Fetischisten zu verticken, die bereit waren,
für die Original- Heros -LP von David Bowie einen
dreistelligen Betrag zu investieren. Früher hatte Maik auch mit
CDs gehandelt, aber seit jeder Hirni mit ein paar Mausklicks Musik
aus dem Internet saugen konnte, war der Markt zusammengebrochen. Dank
seines Wochenplans wusste Daniel, dass es ein Freitag gewesen sein
musste, als Maik mit einem teuren Rum und Cola zu ihm kam und mit
feierlicher Stimme proklamierte: »Das Zeitalter des digitalen
Tonträgers ist vorbei!« Anschließend folgte ein
gepflegtes Cuba-Libre-Besäufnis, das einen Schlussstrich unter
Maiks Aktivitäten auf dem CD-Markt zog.
»Ich
hab heute achtzig Euro eingenommen mit einer Picture-Vinyl-Platte von
Rammsteins Fühle mich «, sagte Maik stolz.
»Was
ist auf dem Bild?«
»Ein
Typ, ich glaub, ein Samurai. Er verprügelt eine Frau, mollig. Er
schlägt ihr auf den nackten Arsch.« Maik zögerte.
»Sie hat eine Tüte über dem Kopf. Tut mir leid.«
»Was
tut dir daran leid?«
»Das
mit der Tüte.«
Daniel
verdrehte die Augen.
»Ich
war ein Deutscher in Afghanistan, okay? Kein Ami in einem irakischen
Folterknast.«
»Tut
mir leid. Ich wollte dich nicht aufregen.«
»Du
regst mich nicht auf«, schrie Daniel.
»Entschuldigung.
Wenn man an eine Papiertüte denkt, die über den Kopf eines
nackten Menschen gezogen wurde, hat man immer die Bilder aus Abu
Ghraib im Kopf. Die Soldatin mit einem Gefangenen an der Hundeleine.
Darauf hat Rammstein spekuliert. Auf die Bilder. Gutes Marketing.«
»Als
Melanie noch nicht den Computer aus dem Haus geschleppt hatte,
spielte ich am liebsten Civilization . Das war gut für
mich. Ich war schon immer ein Geschichts-Fan. Zocken und Geschichte
passt für mich. Weltwunder bauen. Hängende Gärten.
Pyramiden. Freiheitsstatuen. Eine Nation von der Steinzeit bis zum
Weltraumflug führen.«
»Ja,
und wie kommst du jetzt da drauf?«, fragte Maik.
»Wegen
dem Samurai. Meine Lieblingszivilisation waren die Japaner.
Staatsoberhaupt: Tokugawa. Während des Tokugawa-Shogunats
entfaltete Bushido, der Verhaltenskodex der Samurai, seine größte
Blüte.«
»Du
hast eindeutig zu viel Discovery Channel gesehen, als der Fernseher
noch nicht durchgeweicht war.«
»Ein
wahrer Samurai sollte frei von jeder Angst sein und keinen Grund
haben, krampfhaft am Leben festzuhalten. Für ihn ist es gleich,
ob heute oder morgen sein letzter Tag ist. Seine Bereitschaft zu
töten sollte ebenso gefestigt sein wie
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