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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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dann was zum Essen hingestellt, und dann ist er noch mal rausgerannt, weil so ein Krach von der Kirche her war, und ich hab mich geärgert und bin in die Kirch und hab gesagt, er soll endlich kommen, sonst wird Essen kalt – aber das wissen Sie ja, Sie haben mich ja gesehen. Ich hab ihn dann beim Essen gefragt: Was war? Er sagt: Nix, meditieren hat er wollen, der Depp.«
    Sie stockte einen Augenblick, sagte: »Oh, Entschuldigung …!«
    Ich sagte: »Was wahr ist, ist wahr.«
    Wir reden noch weiter. Dies und jenes.
    Ich mache mich dann ans Gehen. Sage:
    »Schon viel auf einmal, nicht wahr. Letzten Sonntag der Pfarrer. Heute holt der Notarzt den Adolf.«
    Sie weint wieder. Heftig.
    »Ja, das ist einfach zu viel auf einmal.«
    Sie schluchzt zum Herzerbarmen.
    Ich nehm sie in den Arm. Ist gegen die Vorschriften. Aber ich bin ja nicht mehr im Dienst.
    Ich denk an das Kind in ihrem Bauch. Es wird als Halbwaise zur Welt kommen. Wie es ausschaut.
    Mir laufen jetzt auch die Tränen runter. Sie merkt es nicht. Sie ist zu verheult.
    Dann merkt sie es doch.
    Sagt:
    »Sie sind der zweite Mann, den ich heulen seh.«
    »Wer war der erste?«
    »Der Theo.«
    Und dann heult sie unaufhaltbar. Weiter. Untröstlich. Wie das Peterle von der Toni.
    Tränen lügen nicht.
    Ich nehme ihr Gesicht in beide Hände, nimm mein Herz in deine Hände , drücke ihr einen zarten Kuss auf die Stirn.
    »Vom Theo«, sage ich.
    Sie rutscht mir zwischen den Armen durch.
    Sackt auf dem Boden zusammen.
    Totenbleich.
    Gott sei Dank ist die Notärztin schon weg.

Zwei Männer, eine Mutter
    Ich fahre nach Augsburg.
    Meine Mutter besuchen.
    Wieder mal.
    Hat keinen Sinn, aber man kann ja nie wissen.
    Ich parke im Hof vom Pflegeheim.
    Gehe direkt auf Zimmer 07.
    Klopfe an aus alter Berufskrankheit.
    Mach die Tür auf.
    Denk, ich seh nicht recht.
    Meine Mutter schläft. Wie immer. Gehirn kaputt. Lebt von der Sonde in den Magen. Seit drei Jahren. Pflegestufe II . Das ist kein Leben mehr. Aber verhungern lassen kann ich sie auch nicht.
    An ihrem Bett ein älterer Herr. Grauhaarig. Groß. Schwarzer Anzug. Weißes Hemd. Offen. Randlose Brille.
    Der Rössle!
    »Sie hier? Was machen denn Sie hier?!«
    »Ach«, sagt er, und hält noch immer ihre Hand, als wär’s seine Mutter. »Ich war grad hier. Personalangelegenheit. Und da hab ich mir gedacht, ich schau mal bei Ihrer Frau Mutter vorbei.«
    »Was geht Sie meine Mutter an?«
    »Sie war grad einen Augenblick wach«, sagt er unbeirrt. »Ich hab zu ihr gesagt: Gruß vom Emil. Und sie lächelt und sagt: …«
    Ich fahre dazwischen, schreie ihn an:
    »Sie kann nicht reden! Schlaganfall. Sprechzentrum im Arsch. Erzählen S’ mir keine Geschichten!«
    Er ungerührt:
    »Ich sag: Ich komm vom Emil. Emil! Sie lächelt und sagt: Bleib!«
    »Was?«
    »Bleib!«
    Da haut es mir alle Sicherungen durch. Es drückt mich in den einzigen Lehnstuhl im Raum.
    Ich heule. Wie ein Schlosshund. Wie ein kleines Kind. Wie ein Bub. Wie das Peterle in Tal. Wie das Ungeborene im Bauch von der Johanna.
    Hemmungslos.
    Machtlos.
    »Bleib!«
    Sie wollte immer, dass ich bleib. Bei ihr. Für immer. Ich wollte weg. Von ihr. Für immer. Ging ans Ende der Welt. Australien.
    Rössle, die Kanaille, sagt:
    »Meine Mutter … war auch so …«
    »Was geht mich Ihre scheiß Mutter an«, schnauze ich.
    Dann:
    »’tschuldigung … Ich bin so fertig.«
    Ich heule.
    Finde keine Worte mehr.
    Er schnäuzt sich.
    Hockt sich auf den Stuhl neben dem Bett.
    Die Hände vorm Gesicht.
    Es schüttelt ihn.
    Seine randlose Brille fällt auf den Boden.
    Ich heule noch mehr.
    Allmählich verebbt die Sintflut.
    Bei mir.
    Bei ihm.
    Er sagt:
    »Wissen S’, Bruder Bär …«
    Ich heule schon wieder.
    Bruder!
    Ich wollte, ich hätte einen Bruder.
    Ich muss alles allein entscheiden. Alles. Immer. Allein.
    »Bruder Bär, Sie wissen doch, der Freud hat gesagt, oder geschrieben: Die stärkste Verbindung, die ewigste, die es gibt, ist die zwischen Mutter und Sohn.«
    »Scheiß Freud.«
    »Ja. Scheiß Freud. Leider hat er recht gehabt.«
    Wir hocken schweigend ein paar Minuten da.
    Mutter schläft.
    Jesus wept.
    Rössle sagt:
    »Ich geh jetzt wieder. Noch ein paar Sachen erledigen … Übrigens: Heute Abend hab ich eine Veranstaltung im Diözesanrat zu moderieren. Der Referent ist unser Polizeipräsident. Er spricht zum Thema ›Die gesunde Familie als Bollwerk gegen Kriminalität‹. Diskussion. Danach Abendessen. Wir sind alte Schulfreunde. Haben miteinander Abitur

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