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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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hatte mich in der Kirche gefragt:
    »Was haben S’ denn da oben wollen, am Kruzifix?«
    Ich hatte gesagt:
    »Mich aufhängen!«
    Und er darauf:
    »Nein! So wie der Pfarrer. Das geht doch …«
    Er wusste also, dass der Pfarrer da gehangen war, und er hatte so getan, als hätte er es nicht gewusst. Er log. Damals oder jetzt. Oder damals und jetzt.
    Ich fragte ihn:
    »Und er hat sich freiwillig aufhängen lassen?«
    »Jeden Samstag hat er sich auf den Sonntag vorbereitet. Da war er ganz penibel. Messgewand angezogen, dass auch nix fehlt. Messwein probiert. Er hat dann um sich herum gar nichts mehr gesehen … Es war leicht. Ich bin hinter ihn hin und hab ihn auf den Kopf gehaut. Richtig fest. Da ist er umgefallen. Dann hab ich ihn aufgehängt.«
    Ein Schlag. Kein Blut. Haha!
    »Du? Mit der Leiter?«
    »Ja. Einfach über die Schulter, die Leiter rauf, aufgehängt, und fertig.«
    »Du?«
    »Wieso ich nicht?«
    »Da braucht einer Kraft. Einen Toten auf die Schulter nehmen und oben aufhängen. Fünf oder zehn Meter hoch. In deinem Zustand …!«
    »Der Hass gibt Kräfte.«
    »Der Hass?«
    »Ja, der Hass.«
    »Wieso hast du so einen Hass auf ihn gehabt? Alle sagen, er war so nett.«
    »Du weißt, warum ich so einen Hass auf ihn gehabt hab. Oder nicht?«
    »Keine Ahnung«, log ich.
    »Das Kind von der Johanna ist nicht von mir.«
    »Wieso nicht?«
    »Wir haben seit über einem Jahr nicht mehr …«
    »Von wem dann?«
    »Jetzt stell dich net so deppert! Vom Datschi, von dem frommen Hund.«
    Seine Augen leuchteten. Sein Körper spannte sich. Sogar seine spärlichen Haare stellten sich auf. Energie pur. Hass pur. Vielleicht hatte er ihn doch selber da hinaufgehängt?
    »Aber jetzt ist er hin!«, keuchte er.
    »Und warum hast ihn ans Kruzifix gehängt?«
    »Damit es alle sehen. Damit alle diesen Judas sehen. Damit alle wissen, was für ein Saukerl, für ein falscher, das war! Alle! Und die Zeitung!«
    »Aber keiner hat ihn gesehen. Nur die Obholzer, und da weiß man nicht, ob die spinnt.«
    »Die spinnt nicht, die blöde Sau. Die ist zu früh gekommen und hat gleich telefoniert, und da war dann gleich die Feuerwehr da, der Hauptmann von denen, und bevor die anderen gekommen sind, hat er ihn schon heruntergeschnitten …«
    »Und hat euch damit die Schau versaut …«
    »Ja …«
    Manchmal ist auch interessant, was einer nicht sagt. Wenn einer nicht widerspricht. »Euch«. Das war die Falle. Und er war hineingetappt.
    Adolf sank in die Kissen zurück, wurde wieder tot.
    »Und der Zettel? ›Ich packe es nicht mehr …‹ Wer hat den geschrieben?«
    »Ich, wer sonst. Ich schreib doch immer die Sachen für den Schaukasten.«
    Wunderbar, dachte ich. Wasserdicht. Ich sagte:
    »Das war also die Beichte. Noch was?«
    »Nein. Das langt doch für die ewige Verdammnis, oder?«
    »Dann binden wir den Sack zu … Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Ich frage dich im Angesicht Gottes, bereust du deine Sünden, so sprich: ja.«
    »Ja.«
    »Im Namen Christi: Ich spreche dich frei, ledig und los. Dir sind deine Sünden vergeben. Vater unser im Himmel …«
    Er betete es leise mit, die knorrigen Hände gefaltet.
    Ich tauchte meinen Finger ins Salböl.
    Ich malte ihm ein Kreuz auf die Stirn und sagte:
    »Ich salbe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Friede sei mit dir.«
    »Amen«, sagte er. »Der Sauhund, der dreckige …«
    Ich: »Ist noch was?«
    »Nein, nix. Das ist alles«, sagte er, als wäre er im Sieben-bis-zehn-Uhr-Kaufladen in Tal und sagt zu dem alten Ladenhüter: Das ist alles.
    Dann sagte er:
    »Komm ich jetzt in die Hölle?«
    Ich sagte: »Wenn du Glück hast, kommst du in die Hölle.«
    »Und wenn ich Pech hab?«
    »Dann bleibst du hier noch drei Monat liegen und verreckst in deiner Soiche. Hölle ist die Strafe für Mörder. Ewige Urologie für Lügner.«
    Seine Augen flackerten.
    »Der Fall ist jetzt erledigt. Oder?«
    »Schaut so aus«, sagte ich. »Aber merk dir was: Wer zuletzt lügt, lügt am besten. Nix für ungut. Pfüad di.«
    »Servus«, sagte er.
    Sag beim Abschied leise Servus …
    Die Luft auf dem Gang war erfrischend. Sie roch nach Krankenhaus, nach Desinfektionsmittel und Bodenreiniger und Latexhandschuhen, nicht mehr nach Pissoir. Man kann sich an jeden Geruch gewöhnen. Nach fünf Minuten. Wenn man nicht in den vorigen vier Minuten aufs Klo rennen muss.
    Ich hatte ein blödes Gefühl. Ich dachte, er lügt. Warum beichtete er mir den Scheiß? Er hatte

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