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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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bündelt.
    Ich muss meine ganze Energie bündeln. Jetzt.
    Auf den einen Augenblick hin.
    Mein letzter.
    Last minute chance.
    Die Axt flog in Zeitlupe auf meinen Kopf zu.
    Alle Muskeln harrten in höchster Alarmbereitschaft.
    Alle Emotionen deaktiviert.
    Konzentration pur.
    … jetzt und in der Stunde unseres Todes …
    Jetzt!
    Ich schnellte hoch, spürte den Luftzug des Eisens an meinem Hals, es grub sich tief in das Holz des Baumstumpfes ein.
    Bevor der Toni begriff, was los war, er hielt die Axt, die fest im Holz verkeilt war, mit beiden Händen umgriffen, stand ich hinter ihm.
    Er mochte Metzger sein. Ich war Fußballer.
    Fußball verlernt man nicht. Ich sah mich am Fünf-Meter-Raum vorm Tor. Abstoß. So weit es nur geht. Mit meinem starken rechten Fuß. Ich machte einen »Abschlag«, den stärksten Abschlag meines Lebens.
    Den Abschlag um mein Leben.
    Von hinten in die Eier vom Toni.
    Stille.
    Die Szene gefroren.
    Kein Laut.
    Keine Bewegung.
    Über allen Gipfeln ist Ruh …
    Langsam schwoll aus dem Innersten vom Toni ein Ton an. Eine Sirene. Eine Luftschutzsirene. Die Sirene eines kastrierten Stieres. Er schrie, man musste es bis Kempten hinein hören, und dann durchzuckte ein elektrischer Stoß seinen Körper, als wäre er an einen Defibrillator angeschlossen, er hüpfte wie ein Geißbock, überschlug sich mit einem Salto über der Axt, die fest im Baumstumpf verkeilt blieb, und landete auf dem Rücken, seine Sirenenstimme heulte immer lauter.
    Ich springe auf ihn. Linkes Knie auf seinen Hals. Das rechte ins Gesicht.
    Es knackt.
    Es knirscht.
    Ich reiß mich von ihm los.
    Wo sein Gesicht war, ist Erdbeermarmelade.
    Er krümmt sich, sirent weiter, spuckt Zähne.
    Ich bin wahnsinnig. Ich muss mich retten.
    Nicht vor ihm.
    Vor mir.
    Ich laufe weg, einfach laufen, damit ich ihn nicht umbring. Weg, nur weg, sonst bring ich ihn wirklich um, immer nur reintreten, immer weiter, weg, sonst werde ich zum Mörder.
    Es geht bergauf. Ich japse. Kriege keine Luft mehr, falle hin, schlage mir die Knie auf, die Hände. Ich übergebe mich, aber es ist nichts mehr da zum Übergeben. Rapple mich wieder hoch.
    Und jogge.
    Und heule.
    Vor Wut.
    Vor Erlösung.
    Vor dem Schreck über den Mörder in mir.
    Mein Körper zittert mich.
    Ruhig!, befehle ich ihm.
    Langsam laufen.
    Nicht denken.
    Nur laufen.
    Nicht aufhören zu laufen.
    Ich erreiche den Waldrand.
    Erblicke den See.
    Er ruht.
    In sich.
    Im Tal.
    Liebliches Tal.
    Letztes Abendrot hinter den Gewitterwolken.
    Jogge auf die Alm zu.
    Meine Nachbarin kommt mir entgegen. Geht spazieren. Heute ohne Kühe.
    Ich hinke an ihr vorbei, mein rechter Fuß tut weh von dem Abschlag. Meine Jeans ist am rechten Knie mit Blut getränkt.
    »Oh, hingefallen beim Springen?«
    Die Allgäuer sagen »springen«, wenn sie »laufen« meinen.
    »Ja«, sage ich, »blut wie die Sau.«
    »Soll ich dir helfen?«
    »Nein, geht schon.«
    Und weg bin ich.
    Sperre die Alm auf.
    Sperre zu.
    Dreimal.
    Ein Glas Wasser.
    Gefüllt mit Obstler.
    Er schenket dir voll ein.
    Ich versenke das Obst auf einen Zug.
    Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal …
    Der Alkohol schlägt ein wie eine Neutronenbombe.
    Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.
    Ich falle zusammen.
    Spüre den Teppich. Weich wie Trost.
    Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Jesaja.
    Denke: Gekotzt hab ich schon. Ersticken werd ich nicht.
    Als ich zu mir komme, scheint die Sonne ins Zimmer.
    Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag.
    Warum kommt mir diese saudumme »Danke«-Melodie in den Kopf? Bis ins Gesangbuch hat es dieser Schwachsinn gebracht. EKG 334 .
    Mir graust’s vor dem Tag.

Ein Kuss vom Theo
    Die Polizei war nicht da.
    Bei mir.
    Der Toni ist also noch am Leben.
    Mit Rühreier, aber am Leben.
    Zahnlos, aber am Leben.
    Soll ich die Sache hinschmeißen?
    Jetzt, wo ich so nah dran bin?
    Was ist, wenn der Toni wieder auf den Beinen ist? Falls.
    Ich werde dann keine ruhige Minute mehr haben.
    Er wird mich metzgern.
    Würde ich auch an seiner Stelle.
    Ich duschte mich.
    In Mitleid.
    Keine ist da, die mich verwöhnt.
    Noch schlimmer: kein Sinn im Leben.
    Am schlimmsten: nichts im Kühlschrank.
    Muss man als Mann in meinem Alter alles selber machen?!
    Ach, immer noch besser, als von einer Rollstuhl-Domina zu Tode betüttelt zu werden.
    Helden sind nun mal einsam.
    Basta.
    Im Dorf gibt es einen Kaufladen, der ist vormittags von sieben bis zehn auf. Über der Holztür des Bauernhauses steht so groß, wie es sich

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