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Kruzifix

Kruzifix

Titel: Kruzifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xaver Maria Gwaltinger
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ein Alibi. Fernsehen mit seiner Frau. Warum log er mich an? Auf dem Totenbett. Aus Hass? Den hatte er doch schon abreagiert.
    Ich zog die Tür zum Sterbezimmer hinter mir zu.
    Warum?
    Aus Liebe?!
    Ich lachte.
    Was für blöde Gedanken einem kommen.
    Am Eingang strömten Leute ins Krankenhaus.
    Ich stockte.
    War das nicht? Nein … Doch!
    Der Pferdeschwanz. Ja, der Pferdeschwanz vom Toni.
    Der Toni. Der Pferdeschwanz war das Einzige, was von ihm intakt geblieben war.
    Er hatte einen gequälten Gang. Hinkte durch das Eingangstor.
    Sah sich um. Mit seinen beiden blauen Augen. Blaugeschlagen.
    Zahnlos.
    Ich ließ ihn vorbeigehen an meinem Versteck hinter der Zimmerpalme im Kübel. Er humpelte in Richtung Urologie.
    Der Metzger a.   D.
    Der Metzger.
    Der Metzger.
    Der Metzger!!! Jawoll, der Metzger!!!
    Ich wollte gerade aus meiner Deckung heraustreten, zuckte zurück.
    Noch einer, den ich kannte.
    Grauer Anzug. Graues Haar. Weißes Hemd. Randlose Brille.
    Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
    Der Monsignore Rössle.
    Schlau ist er schon, der staubige Bruder. Rendezvous im Krankenhaus. Da kommt ihm so schnell keiner drauf.
    Er verschwand in den Gängen Richtung Unfallambulanz.
    Ich hatte keine Lust, schon wieder nach Tal zu fahren.
    Zu viel Kühe.
    Landluft.
    Alm.
    Denken.
    Ich.
    Vor allem zu viel Ich.

Scheißfreundlich
    In meinem Kopf war der Fall klar. Ich hatte den Grundriss, musste nur noch ein paar Farbtupfen hineinmalen. Und ich musste für meine Zukunft sorgen. Ich konnte nicht ewig von zwanzigtausend Euro leben. Und vom Nichtstun. Ich musste meine nächste Karriere pflegen.
    Außerdem wollte ich zum Hugendubel. Mich in Bücher vergraben. Karriere und Bücher waren beide im »Forum Allgäu« in der Innenstadt von Kempten untergebracht: Hugendubel und die Redaktion vom Kemptener Tagblatt.
    Ich trabte durch die Hallen der Versuchungen. Neunzig Geschäfte auf dreiundzwanzigtausend Quadratmetern, groß genug für ein internationales Reitturnier. Alles Shopping. Nicht nur Einkaufen. Einkaufen tut man im »Kaufhaus« von Tal. Hier wird geshoppt. Mal shoppen. In der shopping mall . Eisdiele, Café, Konditorei, Verführungen in Schokolade, Crêpes (ehemals Pfannkuchen), buntglasierte Früchte. Hamburger. Pommes. Alles, was gut schmeckt und fett macht.
    Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
    Der Mensch lebt von
    Fett,
    Zucker,
    Salz.
    Mit einem Wort: Currywurst.
    Oder »Sechs auf Kraut«. Wie die Menschen sagen, bei denen ich mein halbes Berufsleben verbracht hatte.
    Die Franken.
    Sechs Nürnberger Bratwürste mit Sauerkraut. »Sechs auf Kraut.«
    Frankenhumor.
    Man muss ihn nur mögen.
    Die Allgäuer Post hatte einen »Service point« eingerichtet. In einem Blumenladen. Ein einfacher Postschalter. Aufgemotzt zum »Service point«. Zwischen Petunienstöcken und Kletterrosen. Flower power.
    Im dritten von drei Stockwerken entdeckte ich in der äußersten Ecke ein Schild: »Kemptener Tagblatt«. Das sollten sie auch mal aufmotzen. »Kempten News«. »Daily Kempten«. »Allgäu Times«. Oder »Print point«.
    Ich trat ein.
    Ich machte mich auf einen Anschiss gefasst.
    Die Begrüßung des Chefredakteurs Magnus Augstein war ein freundlicher Überfall.
    Scheißfreundlich.
    »Ja, wer ist denn da? Der Dr.   Bär?!«
    Ich stotterte:
    »Grüß Gott. Ah … ähhh …«
    Er, warmherzig:
    »Wie geht’s denn mit der Schriftstellerei?«
    Augstein wandte sich sogar von seinem Monitor ab, schwang sich auf seinem Chefsesseldrehstuhl von Lidl im Halbkreis herum.
    Ich sagte:
    »Geht scho. Ich war ja neulich schon einmal da.«
    »Ja, natürlich!«
    Er tat, als wären wir verschwägert oder hätten zumindest schon einen Hektoliter Bier miteinander getrunken.
    Also gut. Ich kann noch scheißfreundlicher als er!
    »Ich hab heute wieder die Allgäuer Rundschau mit dem Kemptener Tagblatt gelesen. Ein gelungener Mix aus internationaler Politik und lokalem Flair. Geschickt, wie Sie das machen!«
    »So, finden Sie? Wir geben uns jedenfalls Mühe.«
    »Wir«. War seine Sekretärin von der Maul- und Klauenseuche genesen oder er an Schizophrenie erkrankt? »Wir«. Irgendwas hatte sich an ihm verändert. Von innen. Was bewirkte, dass er größer ausschaute und so etwas wie eine Aura hatte.
    Ach was, er war einfach nur scheißfreundlich.
    »Und wie geht’s selber?«, ging ich zur Gegenoffensive über.
    Er lachte.
    »Nicht schlecht.«
    Er lachte in sich hinein.
    Ich war unsicher, verwirrt.
    Er sagte:
    »Sie haben doch gesagt, Herr Dr.   Bär,

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