Küss mich Engel
standen eine Kommode aus Walnuss mit Vasen aus russischem Kobalt sowie erlesene Stücke aus Porzellan und Glas aus den Manufakturen in Sankt Petersburg. Die Möblierung war eine Mischung aus Art Deco und achtzehntem Jahrhundert, die dennoch nicht unharmonisch wirkte.
Die große Hand ihres Bräutigams ergriff ihre kleine und streifte ihr brüsk einen einfachen Goldring über.
»Mit diesem Ring nehme ich dich zur Frau«, sagte eine schroffe, unnachgiebige Stimme.
Verwirrt blickte sie den schlichten Ring an. So lange sie denken konnte, schwelgte sie in »bourgeoisen Hirngespinsten über Liebe und Ehe«, wie ihre Mutter Lani es immer genannt hatte, und so etwas wie das hier hätte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen können.
»... Kraft meines Amtes erkläre ich Sie nun zu Mann und Frau.«
Sie erstarrte, während sie darauf wartete, dass Friedensrichter Rhinsetler den Bräutigam dazu aufforderte, die Braut zu küssen. Als das nicht geschah, wusste sie, dass ihr Vater ihn gebeten hatte, es zu unterlassen, um ihr die Peinlichkeit zu ersparen. Sie war froh, diesen harten, verkniffenen Mund nicht küssen zu müssen. Typisch Vater, an ein Detail zu denken, das jeder andere außer acht gelassen hätte. Obwohl sie das nie und nimmer zugegeben hätte, wünschte sie, ein wenig mehr wie er zu sein, aber sie war ja noch nicht mal in der Lage, ihr Leben in großen Zügen in den Griff zu kriegen, geschweige denn die unwichtigeren Einzelheiten.
Selbstmitleid lag ihr nicht, also schüttelte sie die Anwandlung ab und reckte ihrem Vater gehorsam die Wange hin, als dieser vortrat, um ihr den obligatorischen Gratulationskuss zu geben. Sie ertappte sich dabei, wie sie auf ein Wort der Zuneigung hoffte, war jedoch nicht überrascht, als nichts kam. Ja, sie brachte es sogar fertig, sich nichts anmerken zu lassen, als er sich wieder von ihr zurückzog.
Er zog ihren mysteriösen Bräutigam an die Fensterfront, die auf den Central Park zeigte, wo sich ihnen Richter Rhinsetler anschloss. Die beiden anderen Zeugen der Trauung waren der Chauffeur, der sich taktvoll zurückzog, um sich seinen Pflichten zu widmen, und die Frau ihres Vaters, Amelia, mit ihrem kühlen, hellblonden Haar und dem nasalen Südstaatenakzent.
»Herzlichen Glückwunsch, meine Liebe. Was für ein wunderschönes Paar ihr doch seid, du und Alexander. Sehen sie nicht wundervoll aus, Max?« Ohne eine Antwort abzuwarten, zog Amelia Daisy an ihre stark parfümierte Brust.
Amelia tat, als würde sie die uneheliche Tochter ihres Mannes wirklich mögen, und obwohl Daisy ihre wahren Gefühle kannte, musste sie Amelia zugute halten, dass sie es immerhin versuchte. Sicher war es nicht leicht für sie, mit dem lebenden Beweis für die einzige unverantwortliche Handlung, die ihrem Gatten je unterlaufen war, konfrontiert zu sein, selbst wenn ihm diese Handlung schon vor gut sechsundzwanzig Jahren unterlaufen war.
»Ich weiß wirklich nicht, warum du unbedingt auf diesem Kleid bestanden hast, meine Liebe. Es mag ja recht nett für einen Tanzabend sein, aber wohl kaum für eine Hochzeit.« Amelias kritischer Blick glitt vernichtend über Daisys sündteures Trägerkleidchen mit dem kurzen Rüschenrock aus Goldmetallic-Tüll, der ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte.
»Es ist fast weiß.«
»Gold ist nicht weiß, meine Liebe. Und es ist außerdem viel zu kurz«
»Der Blazer ist aber ganz konservativ«, entgegnete Daisy und strich mit den Händen über ihren voluminösen goldenen Satinblazer, der ihr bis zum Ansatz ihrer Oberschenkel reichte.
»Was den Rest auch nicht besser macht. Warum konntest du nicht das traditionelle Weiß tragen? Oder zumindest etwas weniger Auffälliges.«
Weil das hier keine echte Ehe ist, dachte Daisy, und je mehr sie sich der Tradition beugte, desto stärker wurde sie daran erinnert, dass sie im Begriff stand, einen Eid zu brechen, der heilig sein sollte. Sie hatte sogar die Gardenie aus dem Haar genommen, die ihr Amelia dorthin gesteckt hatte, nur leider hatte ihre Stiefmutter es sofort bemerkt, als sie herunterkam, und sie ihr wieder hineingesteckt.
Sie wusste, dass Amelia auch ihre goldenen Schuhe missfielen. Sie sahen aus wie die Sandalen von römischen Gladiatoren, mit dicken, zehn Zentimeter hohen, goldenen Plateausohlen. Sie waren schrecklich unbequem, aber zumindest bestand nicht die Gefahr, sie mit den traditionellen weißen Pumps zu verwechseln.
»Dein Bräutigam sieht nicht gerade glücklich aus«, flüsterte Amelia. »Nicht,
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