Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
aber es war wirklich so. Das, was mich an den Frauen erschreckte, war einzig und allein der körperliche Kontakt. Vorausgesetzt, dass sie in sicherer Entfernung blieben, konnte ich sie stundenlang beobachten, und zwar ebenso fasziniert, wie Sie vielleicht ein Tier beobachten, das Sie um keinen Preis anfassen möchten, einen Seepolypen zum Beispiel oder eine Giftschlange. Ich liebte den Anblick eines weißen, weichen Armes, der aus einem Ärmel tauchte, merkwürdig nackt wie eine geschälte Banane. Es regte mich maßlos auf, wenn ein Mädchen in einem enganliegenden Kleid durchs Zimmer ging, und ich genoss es auch, Frauenbeine von hinten zu sehen, besonders wenn sie in Schuhen mit hohen Absätzen steckten – der wundervolle Schwung in den Kniekehlen und die Beine selbst, straff und von einer bis zum Äußersten angespannten Elastizität. Wenn ich an einem Sommernachmittag in Lady Birdwells Wohnzimmer am Fenster saß, schaute ich manchmal über den Rand meiner Teetasse zum Schwimmbassin hinüber und war wie berauscht, wenn ich zwischen der oberen und der unteren Hälfte eines zweiteiligen Badeanzugs einen sonnenverbrannten Streifen Fleisch erspähte.
An solchen Gedanken ist nichts Schlimmes. Alle Männer haben sie von Zeit zu Zeit. Bei mir aber hinterließen sie ein furchtbares Schuldgefühl. Bin ich es etwa, so fragte ich mich immer wieder, der unbewusst verantwortlich ist für die schamlose Art, in der sich diese Damen neuerdings gefallen? Ist es das unkontrollierbare Glänzen meiner Augen, das fortwährend ihre Leidenschaft erregt und sie reizt? Gebe ich ihnen, sooft ich sie anschaue, unwissentlich jenes Signal, das man den Komm-zu-mirWink nennt? Tue ich das?
Oder gehört ihr aggressives Benehmen zu den Kennzeichen der weiblichen Natur?
Auf diese Frage hätte ich wohl leicht eine beruhigende Antwort finden können, doch das genügte mir nicht. Mein Gewissen lässt sich nie mit Vermutungen beschwichtigen, es fordert Beweise. Ich musste einwandfrei feststellen, wer in diesem Fall der schuldige Teil war – ich oder sie. So entschloss ich mich denn zu einem einfachen Experiment eigener Erfindung, das ich mit Hilfe von Snellings Ratten durchführte.
Etwa ein Jahr zuvor hatte ich Ärger mit einem unartigen Chorknaben namens Billy Snelling gehabt. Der Junge hatte an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen ein Paar weiße Ratten in die Kirche mitgebracht und sie während meiner Predigt auf dem Fußboden herumlaufen lassen. Schließlich hatte ich die Tiere konfisziert, sie mit nach Hause genommen und in einer Kiste untergebracht, die ich in den Schuppen am Ende des Pfarrgartens stellte. Aus reiner Menschlichkeit hatte ich sie gefüttert, und das Ergebnis war, dass sich diese Kreaturen, wenn auch ohne die geringste Ermutigung von meiner Seite, sehr schnell zu vermehren begannen. Aus dem Pärchen wurden fünf, aus den fünf wurden zwölf.
So stand es, als ich den Entschluss fasste, sie zu Forschungszwecken zu verwenden. Die Bedingungen waren ideal, denn es gab ebenso viele Männchen wie Weibchen, sechs von jeder Sorte.
Zunächst sperrte ich Männchen und Weibchen in getrennte Käfige, und zwar für volle drei Wochen. Die Ratte ist ein sehr wollüstiges Tier, und einundzwanzig Tage sind für sie, wie jeder Zoologe bestätigen wird, eine außerordentlich lange Trennungszeit. Ich vermute, dass eine Woche erzwungenen Zölibats für eine Ratte ungefähr einem Jahr gleicher Behandlung für jemanden wie Miss Elphinstone oder Miss Prattley entspricht – woraus man ersieht, dass ich bemüht war, wirklichkeitsnahe Bedingungen zu schaffen.
Als die drei Wochen vorüber waren, nahm ich eine große Kiste, die in der Mitte durch ein Gitter geteilt war, und setzte die Weibchen auf die eine, die Männchen auf die andere Seite. Das Gitter bestand nur aus drei blanken Drähten mit jeweils einem Zoll Zwischenraum, aber es war mit starkem elektrischem Strom geladen.
Um die Sache der Wirklichkeit noch mehr anzunähern, gab ich jedem Weibchen einen Namen. Das größte, das auch die längsten Barthaare hatte, war Miss Elphinstone. Ein anderes mit einem kurzen, dicken Schwanz nannte ich Miss Prattley. Das kleinste hieß Miss Unwin und so weiter. Die Männchen, alle sechs, waren ICH.
Nun holte ich mir einen Stuhl, ließ mich darauf nieder und beobachtete.
Ratten sind von Natur misstrauisch, und als ich die beiden Geschlechter, nur durch die Drähte getrennt, in dieselbe Kiste gesetzt hatte, rührte sich zunächst keines der Tiere. Die
Weitere Kostenlose Bücher