Kunst des klaren Denkens
hartnäckigen Kilos zu unternehmen, schaute er sich bei den verschiedensten Sportarten um. Die Jogger machten ihm einen dürren und unglücklichen Eindruck. Die Bodybuilder sahen breit und dümmlich aus. Die Tennisspieler, ach, so gehobene Mittelklasse! Doch die Schwimmer gefielen ihm. Sie hatten diese gut gebauten, eleganten Körper. Also entschloss er sich, zweimal die Woche in das chlorhaltige Wasser des lokalen Schwimmbades zu steigen und richtig hart zu trainieren. Es dauerte eine ganze Weile, bis er merkte, dass er einer Illusion auf den Leim gekrochen war. Die professionellen Schwimmer haben diesen perfekten Körperbau nicht, weil sie ausgiebig trainieren. Es ist andersherum: Sie sind gute Schwimmer, weil sie so gebaut sind. Ihr Körperbau ist ein Selektionskriterium, nicht das Resultat ihrer Aktivitäten.
Weibliche Models machen Werbung für Kosmetika. So kommt manche Konsumentin auf den Gedanken, die Kosmetika würden einen verschönern. Doch es sind nicht die Kosmetika, die diese Frauen zu Models machen. Die Models sind zufälligerweise als schöne Menschen geboren,und nur deshalb kommen sie für die Kosmetikawerbung überhaupt erst infrage. Wie bei den Schimmern ist hier die Schönheit ein Selektionskriterium, nicht ein Ergebnis.
Wann immer wir Selektionskriterium und Ergebnis vertauschen, sitzen wir der Swimmer’s Body (»Körper des Schwimmers«) Illusion auf. Ohne diese Illusion würde die Hälfte der Werbung nicht funktionieren.
Aber es geht nicht nur um sexy Körper. Harvard hat den Ruf, eine Topuniversität zu sein. Viele höchst erfolgreiche Personen haben in Harvard studiert. Heißt das, dass Harvard eine gute Schule ist? Das wissen wir nicht. Vielleicht ist die Schule miserabel, aber sie rekrutiert die gescheitesten Studenten der ganzen Welt. Die Universität St. Gallen habe ich so erlebt. Ihr Ruf ist ausgezeichnet, aber der Unterricht (vor 20 Jahren) war medioker. Aus irgendwelchen Gründen – gute Selektion der Studenten, das Klima in dem engen Tal, das Kantinenessen? – ist trotz allem aus vielen Absolventen etwas geworden.
MBA-Kurse in aller Welt locken mit Einkommensstatistiken. Dem Interessenten wird vorgerechnet, dass ein MBA das Einkommen um durchschnittlich soundso viel Prozent steigert. Die einfache Rechnung soll aufzeigen, dass sich die horrenden Schulgebühren schon in kurzer Zeit bezahlt machen. Viele fallen darauf herein. Ich will den Schulen nicht unterstellen, dass sie die Statistiken getürkt haben. Und doch sind ihre Aussagen wertlos. Menschen, die keinen MBA anstreben, sind ganz anders gestrickt als Menschen, die einen MBA anstreben. Der spätere Einkommensunterschied hat tausend andere Gründe als das MBA-Diplom. Hier also wiederum die Swimmer’s Body Illusion : Auswahlkriterium wird mit Ergebnis verwechselt. Wenn Sie sich überlegen, eine Weiterbildung zu machen, suchen Sie sich bitte andere Gründe als Einkommenssteigerung.
Wenn ich glückliche Menschen frage, worin das Geheimnis ihres Glücks bestehe, höre ich oft Sätze wie: »Man muss das Glas halb voll statt halb leer sehen.« Als könnten diese Menschen nicht akzeptieren, dass sie als glückliche Menschen geboren sind, und nun halt die Neigung haben, in allem das Positive zu sehen. Dass Glückseligkeit zum großen Teil angeboren ist und im Verlauf des Lebens konstant bleibt, wollen die Glücklichen nicht einsehen. Die Swimmer’s Body Illusion gibt es also auch als Selbstillusion. Wenn die Glücklichen dann noch Bücher schreiben, wird die Täuschung perfid.
Darum: Machen Sie von jetzt an einen weiten Bogen um Selbsthilfeliteratur. Sie ist zu 100 % von Menschen geschrieben, die eine natürliche Tendenz zum Glück besitzen. Nun verschleudern sie auf jeder Buchseite Tipps. Dass es Milliarden von Menschen gibt, bei denen diese Tipps nicht funktionieren, bleibt unbekannt – weil Unglückspilze keine Selbsthilfebücher schreiben.
Fazit: Überall, wo etwas Erstrebenswertes – stählerne Muskeln, Schönheit, höheres Einkommen, langes Leben, Aura, Glück – angepriesen wird, schauen Sie genau hin. Bevor Sie ins Schwimmbecken steigen, werfen Sie einen Blick in den Spiegel. Und seien Sie ehrlich mit sich.
DER OVERCONFIDENCE-EFFEKT
Warum Sie systematisch Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten überschätzen
Zarin Katharina II. von Russland war nicht für ihre Keuschheit bekannt. Zahlreiche Liebhaber wühlten sich durch ihr Bett. Wie viele es waren, verrate ich Ihnen im nächsten Kapitel, hier geht es vorerst um
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