Kunst des klaren Denkens
»ihr« Szenario einschätzten. Das Ergebnis war eindeutig: Gruppe B glaubte viel stärker an die ihr vorgelegte Prognose als Gruppe A.
Kahneman geht davon aus, dass es zwei Arten des Denkens gibt: zum einen das intuitive, automatische, unmittelbare Denken. Zum anderen das bewusste, rationale, langsame, mühsame, logische Denken. Leider zieht das intuitive Denken Schlüsse, lange bevor das bewusste Denken in Fahrt kommt. So ging es mir zum Beispiel nach dem Attentat auf das World Trade Center vom 11. September 2001, als ich eine Reiseversicherung abschließen wollte. Eine clevere Firma machte sich die Conjunction Fallacy zunutze und bot eine spezielle »Terrorismusversicherung« an. Obwohl die anderen Versicherungen damals gegen alle möglichen Gründe von Reiseausfällen schützten (Terrorismus inbegriffen), fiel ich auf das Angebot herein. Der Gipfel meiner Idiotie war, dass ich sogar bereit war, mehr für die spezialisierte Versicherung zu bezahlen als für eine ganz normale Reiseversicherung, die den Fall auch abgedeckt hätte.
Fazit: Vergessen Sie das Modethema »linke und rechte Gehirnhälfte«. Viel wichtiger ist der Unterschied zwischen dem intuitiven und dem bewussten Denken. Das intuitive Denken hat ein Faible für plausible Geschichten. Bei wichtigen Entscheidungen tun Sie gut daran, ihnen nicht zu folgen.
FRAMING
C’est le ton qui fait la musique
»He, der Abfalleimer ist voll!« Oder: »Schatz, es wäre furchtbar lieb, wenn du noch schnell den Abfalleimer leeren könntest.« C’est le ton qui fait la musique – der Ton macht die Musik. Der gleiche Sachverhalt, so oder so dargestellt, kommt ganz unterschiedlich an. Im Psychologenjargon spricht man von Framing .
Framing (deutsch: einrahmen, man spricht auch vom Rahmeneffekt) bedeutet: Auf die genau gleiche Sachlage reagieren wir unterschiedlich, je nachdem, wie sie dargestellt wird. Daniel Kahneman, der 2002 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, und sein Kollege Amos Tversky führten in den 1980er-Jahren eine Befragung durch, bei der sie zwei Optionen einer Seuchenbekämpfungsstrategie präsentierten. Das Leben von 600 Personen stand auf dem Spiel. »Option A rettet 200 Personen das Leben.« »Option B bewirkt mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass alle 600 Personen gerettet werden, und mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass niemand gerettet wird.« Obwohl die Optionen A und B gleichwertig sind (der Erwartungswert liegt bei 200 Geretteten), wählte die Mehrheit aller Befragten Option A – frei nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube aufdem Dach. So richtig interessant wurde es, als genau dieselben Optionen einfach anderes formuliert wurden: »Option A tötet 400 Personen.« »Option B bewirkt mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass niemand stirbt , und mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass alle 600 Personen sterben .« Jetzt wählte nur noch eine kleine Minderheit der Befragten A und die Mehrheit B. Also gerade umgekehrt als bei der ersten Befragung. Je nach sprachlicher Darstellung – retten vs. sterben – trafen die Befragten ganz andere Entscheidungen für den identischen Sachverhalt.
Ein anderes Beispiel: Forscher präsentierten zwei Arten von Fleisch: »99 % fettfrei« und »1 % fetthaltig«. Die Befragten stuften das erste Stück Fleisch als gesünder ein, obwohl die beiden Fleischarten identisch waren. Selbst bei der Auswahl zwischen »98 % fettfrei« und »1 % fetthaltig« entschieden sich die meisten Befragten für die erste Variante – die doppelt so viel Fett enthielt.
Schönfärberei ist eine besonders gängige Spielart des Framing . Sinkende Aktienkurse werden als »Korrektur« bezeichnet. Ein überzahlter Akquisitionspreis als »Goodwill«. In jedem Managementkurs lernen wir, dass ein Problem kein »Problem«, sondern eine »Chance« ist. Ein gefeuerter Manager ist jemand, der sein Leben »neu ausrichtet«. Ein gefallener Soldat – egal wie viel Pech oder Dummheit zu seinem Tod führten – ist ein »Kriegsheld«. Völkermord ist »ethnische Säuberung«. Die geglückte Notlandung, zum Beispiel auf dem Hudson in New York, wird als »Triumph der Aviatik« gefeiert. (Wäre nicht keine Notlandung ein Triumph gewesen?)
Haben Sie schon einmal den Prospekt für ein Finanzprodukt – zum Beispiel für einen ETF, einen börsengehandelten Fonds – genauer angeschaut? Oft ist darauf die Performance der letzten Jahre abgebildet. Wie viele Jahre
Weitere Kostenlose Bücher