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Kunst des klaren Denkens

Kunst des klaren Denkens

Titel: Kunst des klaren Denkens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Dobelli
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hätte.
    Alternative Pfade sind unsichtbar, darum denken wir so selten daran. Wer mit Junkbonds, Optionen und CreditDefault Swaps spekuliert und damit Millionen verdient, sollte nie vergessen, dass er gleichzeitig ein Bündel von gefährlichen alternativen Pfaden mitschleppt, die geradewegs in den Ruin führen. Zehn Millionen, die unter einem so großen Risiko entstanden sind, sind weniger wert als zehn Millionen, die durch jahrelanges Schuften zusammengekommen sind. Da kann ein Buchhalter noch so oft behaupten, zehn Millionen seien zehn Millionen.
    Bei einem unserer Abendessen schlug Nassim Taleb vor, eine Münze zu werfen, um zu entscheiden, wer die Rechnung bezahlen soll. Es traf ihn. Die Situation war mir unangenehm, denn er war zu Besuch in der Schweiz. Ich sagte: »Das nächste Mal werde ich bezahlen, egal ob hier oder in New York.« Er überlegte eine Weile und sagte: »Unter Berücksichtigung der alternativen Pfade hast du eigentlich schon die Hälfte dieses Dinners bezahlt.«
    Fazit: Risiko ist nie direkt sichtbar. Überlegen Sie sich daher immer, wie Ihre alternativen Pfade aussehen. Nehmen Sie Erfolge, die über riskante alternative Pfade zustande gekommen sind, weniger ernst als Erfolge, die Sie auf »langweiligen« Pfaden (zum Beispiel mit einer mühseligen Tätigkeit als Anwalt, Zahnarzt, Skilehrer, Pilot oder Unternehmensberater) erreicht haben. Wie sagte doch Montaigne: »Mein Leben war voller Unglücke – von denen die meisten nicht eingetroffen sind.«

DIE PROGNOSEILLUSION
    Wie die Kristallkugel Ihren Blick verzerrt

    »Regimewechsel in Nordkorea in den nächsten zwei Jahren.« »Argentinische Weine bald beliebter als französische.« »Facebook in drei Jahren wichtigstes Unterhaltungsmedium.« »Der Euro wird auseinanderbrechen.« »Weltraumspaziergänge für jedermann in zehn Jahren.« »Kein Rohöl mehr in 15 Jahren.«
    Täglich bombardieren uns Experten mit ihren Prognosen. Wie verlässlich sind sie? Bis vor wenigen Jahren hat sich niemand die Mühe gemacht, ihre Qualität zu überprüfen. Dann kam Philip Tetlock.
    Der Berkeley-Professor wertete 82.361 Vorhersagen von insgesamt 284 Experten über einen Zeitraum von zehn Jahren aus. Das Resultat: Die Prognosen trafen kaum häufiger zu, als wenn man einen Zufallsgenerator befragt hätte. Als besonders schlechte Prognostiker erwiesen sich ausgerechnet die Experten mit der stärksten Medienaufmerksamkeit, insbesondere die Untergangspropheten, und unter ihnen wiederum die Vertreter von Desintegrationsszenarien – auf das Auseinanderbrechen von Kanada, Nigeria, China, Indien, Indonesien, Südafrika, Belgien und der EU warten wir noch immer (an Libyen hat bezeichnenderweise kein Experte gedacht).
    »Es gibt zwei Arten von Leuten, die die Zukunft vorhersagen: jene, die nichts wissen, und jene, die nicht wissen, dass sie nichts wissen«, schrieb der Harvard-Ökonom John Kenneth Galbraith und machte sich damit in seiner eigenen Zunft verhasst. Noch süffisanter drückte sich der Fondsmanager Peter Lynch aus: »Die USA haben 60.000 ausgebildete Ökonomen. Viele von ihnen sind angestellt, um Wirtschaftskrisen und Zinsen vorherzusagen. Wenn ihre Prognosen nur zweimal hintereinander eintreffen würden, wären sie Millionäre. Soweit ich weiß, sind die meisten noch immer brave Angestellte.« Das war vor zehn Jahren. Heute dürften die USA die dreifache Anzahl Ökonomen beschäftigen – mit einem Effekt von null auf die Prognosequalität.
    Das Problem: Experten bezahlen für falsche Prognosen keinen Preis – weder in Geld noch über den Verlust des guten Rufes. Anders ausgedrückt: Als Gesellschaft geben wir diesen Leuten eine Gratisoption. Es gibt keine »Downside« beim Verfehlen der Prognose, aber eine »Upside« an Aufmerksamkeit, Beratungsmandaten und Pu-blikationsmöglichkeiten, falls die Prognose stimmt. Weil der Preis für diese Option null ist, erleben wir eine wahre Inflation an Vorhersagen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass immer mehr Vorhersagen rein zufällig richtigliegen. Idealerweise würde man Prognostiker zwingen, Geld in einen »Prognose-Fonds« einzubezahlen – sagen wir 1.000 Euro pro Vorhersage. Stimmt die Prognose, erhält der Experte sein Geld verzinst zurück. Stimmt sie nicht, geht der Betrag an eine wohltätige Stiftung.
    Was ist prognostizierbar, was nicht? Ich werde mich bei der Vorhersage meines Körpergewichts in einem Jahrnicht groß verschätzen. Je komplexer ein System und je länger der Zeithorizont, desto

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