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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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im Wohnzimmer und schlich wie eine hungrige Katze um den Couchtisch herum. Neben dem Rosenstrauß lag ein Karton, und allein diesem galt Ninas Aufmerksamkeit.
    Sie hob ihn mit gespreizten Fingern hoch. »Das Päckchen
hat ein Kunde vor der Haustür gefunden und mit hochgebracht. Ich musste gleich an diese widerlichen Sachen denken, die
ich bekommen habe. An dem Morgen, als Rico starb.«
    Norma übernahm den Karton. Er besaß eine handliche Größe und fühlte sich leicht an. ›Galerie Abendstern‹ stand in Courier-Schrift gedruckt auf einem weißen Papierstreifen, der sorgsam ausgerichtet auf den Kartondeckel geklebt war.
    »Wir haben nicht reingeschaut«, bekannte Undine mit unsicherer Stimme. »Würdest du das bitte übernehmen, Norma?«
    Die Schachtel war nicht zugeklebt, sondern nur zusammengesteckt. Norma zupfte vorsichtig am Deckel und hob ihn an.
    »Was ist drin?«
    »Seht selbst!« Norma hielt Mutter und Tochter die offene Seite hin.
    »Ihgitt!«, rief Nina. »Ein toter Vogel!«
    Undine verzog das Gesicht. »Eine Krähe!«
    Norma betrachtete den taubengroßen Vogel, dessen Gefieder in tiefem Schwarz glänzte und allein im Nacken stahlgrau gefärbt war. Das Tier lag auf der Seite, die Krallen zusammengeballt und die hellen Augen ins Leere gerichtet. »Wenn ihr mich fragt, ist das keine normale Krähe. Das ist eine Dohle.«
    »Eine Dohle?«, wiederholte Nina, als hörte sie zum ersten Mal von dieser Vogelart.
    »Auch eine Art Krähe«, erklärte Norma, »aber kleiner als eine Rabenkrähe oder Saatkrähe.«
    »Woher weißt du das?«, wunderte sich Nina.
    »Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Mein Vater hat mir früh beigebracht, die bekanntesten Vogelarten zu unterscheiden. Er hat sich sehr für die Natur begeistert.«
    »Interessiert er sich heutzutage nicht mehr dafür?«
    »Er ist seit Langem tot. Er starb, als ich ein Kind war.«
    Undine ließ sich auf die Couch sinken. »Wieso schickt jemand eine tote Dohle in die Galerie? Was soll das bedeuten?«
    »Es ist eine Warnung«, vermutete Norma. »Und sie gilt dir persönlich. Du bist als Förderin der Kunst bekannt. Wie damals Emmy Scheyer.«
    Nina setzte sich neben ihre Mutter. »Wer ist das nun wieder?«
    »Eine Zeitgenossin von Jawlensky«, antwortete Undine bemerkenswert geduldig. »Emmy Scheyer war eine sehr wichtige Person für ihn, nicht nur als Freundin. Sie kümmerte sich um den Verkauf seiner Bilder. Sie soll ihm im Traum als Dohle erschienen sein, und seitdem war sie für ihn nur noch Galka, wie ›Dohle‹ auf Russisch heißt. Später nahm Emmy den Namen auch in der Öffentlichkeit an.«
    Nina sprang auf. »Rico könnte noch leben, wenn ich die Warnung kapiert hätte! Und jetzt bist du in Gefahr!«
    Norma stimmte ihr zu. »Du musst in der Wohnung bleiben, Undine. Oder besser noch für ein paar Tage zu Lutz ziehen. Bei ihm bist du in Sicherheit.«
    Undine schüttelte verwundert den Kopf. »In Sicherheit wovor?«
    »Vor den beiden Bogenschützenmördern!«
    »Warum sollte mich jemand töten wollen?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass wir diese Warnung ernst nehmen sollten.«
    Undine fragte nachdenklich: »Du glaubst also, Gregor hat den Karton geschickt? Weil er weiß, was die Mörder vorhaben? Ich muss mit ihm reden!«
    In Normas Kopf drehten sich die Gedanken. »Das wird uns nichts nutzen. Er wird alles abstreiten. Halte dich von ihm fern!«
    »Wie du meinst. Also gehe ich zu Lutz und verschanze mich in der Villa Tann. Zufrieden?«
    »Solange du außerdem auf die Nordic-Walking-Runden im Rabengrund verzichtest!«
    »Meinetwegen. Was machen wir mit Nina?«
    »Sie geht am besten mit dir zu Lutz!«
    »He!«, rief das Mädchen. »Darf ich dazu auch etwas sagen? Das Rumgeturtel tue ich mir bestimmt nicht an! Ich bleibe hier in der Wohnung.«
    Sie ließ nicht mit sich reden, versprach aber, das Haus nicht zu verlassen.
    »Und was hast du vor, Norma?«, fragte Undine.
    Die Antwort fiel kurz aus. »Einen Besuch machen.«

37
    Den Donnerstagnachmittag hatte Wolfert sich frei genommen. Er wollte raus, brauchte frische Luft und Abstand von den Kollegen. Für ein paar Stunden mochte er nicht einmal Luigi um sich haben. Seit zwei Wochen arbeitete die Sonderkommission am Fall ›Bogenschütze‹. Unzählige Spuren waren erwogen, verfolgt und akribisch niedergeschrieben worden. Anstatt sich fassen zu lassen, präsentierte ihnen der Täter einen zweiten Mord, als wollte er die Ermittler verhöhnen, die nicht einmal sicher sein konnten, ob es sich tatsächlich um

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