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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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den Fersen hockend, ließ sie das Fenster nicht aus dem Blick. Regert wanderte ab und zu vorbei und hielt dabei etwas in den Händen. Eine Flasche, ein Päckchen und was man sonst noch zum Kochen gebrauchen konnte.
    Ihr Magen knurrte. Die letzte Mahlzeit war das Frühstück, knusprige Croissants vom Bäcker gegenüber. Besser nicht daran denken! Außerdem wurde ihr kalt, und die Beinen schmerzten vom langen Hocken. In einer Baumkrone flötete ein Amselmännchen sein Abendlied. Es dämmerte. In der Küche sprang das Licht an, und Regert blieb unsichtbar. Saß er am Tisch und ließ es sich schmecken? Die Ungeduld packte sie. Am liebsten hätte sie sich ans Haus herangeschlichen, brach das Vorhaben aber nach wenigen Schritten ab, als das Licht plötzlich erlosch. Auf dieser Seite blieb die Fassade im Dunkeln. Im Schutz der Büsche schlich sich Norma auf die Rückseite. Im Arbeitszimmer brannte Licht. Neben dem schweren Vorhang, hinter dem sie sich versteckt hatte, fiel ein Lichtstreifen auf ein verwildertes Rosenbeet. Sie tauchte hinter einem Säulenwacholder ab.
    Erneut meldete sich Wolfert per SMS. ›Reisinger zu Hause. Götz mit Freundin Sabine in Kneipe. Bleiben dran.‹
    Als sie einen Dank schickte, kam die Frage: ›Wo steckst du?‹
    Sie schrieb zurück: ›Keine Sorge. Komme euch nicht in die Quere.‹
    Der Gedanke an die Kommissare, die sich aufgrund der verwegenen Hypothese einer Privatdetektivin die Nacht um die Ohren schlugen, rührte sie und weckte zugleich ein zartes Neidgefühl. Beide saßen – wenn auch jeder für sich – bequem und trocken im Wagen und mussten sich nicht mit der aufsteigenden Bodenfeuchtigkeit plagen. Anderseits, sie würde im Auto bestimmt einschlafen. Hundemüde, wie sie war. Der Gedanke an ihr warmes Bett, das keinen Kilometer entfernt auf sie wartete, machte das Ausharren schwer.
    Das Licht erlosch. Norma schüttelte die steifen Glieder und tastete sich ein Stück weiter, bis sie im Schein der Straßenlaterne das Gartentor erkennen konnte.
    ›Götz übernachtet bei Freundin. Reisinger brav zu Hause‹, lautete Wolferts letzte Nachricht.
    Als Regert eine halbe Stunde später das Haus noch immer nicht verlassen hatte, brach sie das Unternehmen ab. In der Wohnung nahm sie eine heiße Dusche. Dadurch halbwegs aufgewärmt, kochte sie sich einen Tee und aß sich an Brot und Käse satt, bevor sie ins Bett kroch. Sie fand keinen Schlaf. Irrwitzige Gedanken schossen ihr durch den Kopf, bis sie aufstand, sich anzog und das Haus verließ. Sie nahm den Polo und fand ihren Platz in der Nebenstraße wieder. Regerts Wagen stand an derselben Stelle wie vorhin vor dem Haus. Vor Sonnenaufgang nahm sie aufs Neue ihren Posten mit dem Blick auf die Haustür ein. Ein Streifen Morgenrot über den Dächern kündigte den neuen Tag an.

39
    Freitag, der 25. Juni
     
    Sie war keine Minute zu früh. Kaum hatte sie sich hinter einer Eibe eingerichtet, öffnete sich die Tür und auf den Stufen erschien ein Schatten. Regert! In Jeans und dunklem Hemd strebte er an ihr vorbei. Das Gartentor knarrte, und gleich darauf sprang ein Wagen an. Wohin mochte er so früh unterwegs sein? Mit Spekulationen wollte sie keine Zeit verlieren. Sie hatte sich vorgenommen, jede Chance zu nutzen. Also los! Das zersplitterte Kellerfenster war ihm offenbar entgangen und hing in den Angeln, wie sie es zurückgelassen hatte. Im Keller nahm sie die Taschenlampe zu Hilfe, bis sie ins Erdgeschoss gelangte. In der Küche roch es nach Essen. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle. Sie hob den Deckel vom Topf, in dem ein Rest des Bratens lag. Als Kind hatte sie zum letzten Mal Fleisch gegessen, doch sie kannte den Geruch von geschmortem Wildbret. Das dunkle, feine Fleisch könnte vom Reh sein.
    In Regert steckte ein Feinschmecker, der für eine einsame Mahlzeit keine Mühe scheute. Mit Unbehagen näherte sie sich der pompösen Kühltruhe. Unvermittelt überfiel sie ein Schreckensbild: Arthurs Gesicht mit gläserner Haut. Brüchig vom Frost, zersprang es in tausend glitzernde Splitter. Sie machte auf dem Absatz kehrt, rannte aus der Küche, riss die Badezimmertür auf und übergab sich ins Waschbecken. Als sie sich aufrichtete, sah sie sich einer wachsweißen Blondine mit panischem Blick gegenüber.
    Verflucht, wo sollte das hinführen? Hastig spülte sie das Waschbecken aus und polierte den Hahn mit einem Handtuch trocken. Den zweiten Versuch mit der Truhe verschob sie auf später. Unverdrossen nahm sie sich das Arbeitszimmer

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