Kunstgriff
ohne auch nur eine Spur der Nervosität zu zeigen, die den Kommissar angesichts des Blaulichts und des geschäftigen Treibens der Spurensicherung nicht verwundert hätte. Die Ungeduld lag allein auf Seiten der Reiterin. Wie mag sie in den Sattel kommen?, fragte er sich und näherte sich dem Tier mit Argwohn, aber deutlich verwegener als Luigi Milano, der ausgerechnet hinter dem schmalen Rücken des Kollegen Schutz suchte.
»Ein Huftritt, Dirk, und du bist Mus«, brummte Milano. Er hatte sich soeben auf ein zweites Frühstück eingerichtet, als der Anruf kam. Entsprechend war seine Laune. »Spannt man so etwas nicht besser vor einen Brauereiwagen?«
»So etwas nennt man ein Shire Horse«, antwortete die Reiterin und bewies ein hervorragendes Gehör. »Dieses englische Kaltblut heißt Balthasar und ist mein Reitpferd. Wenn ich gewusst hätte, dass ich hier eine Ewigkeit warten muss! Ich wäre besser weitergeritten, als Alarm zu schlagen.«
Balthasar wandte ihnen den langen Schädel zu und schnaubte. Sein Fell war schokoladenbraun und von weißen Flecken überzogen wie bei einer Kuh.
Milano las den Namen vom Blatt, auf dem der Kollege der Schutzpolizei die Personalien notiert hatte. »Frau Dr. Roth, wie haben Sie den Toten entdeckt?«
Dass man sich endlich um sie kümmerte, besänftigte die Zeugin. Bereitwillig erzählte sie, sie sei wie jeden Morgen um 7 Uhr zu einem Ausritt aufgebrochen. Der Weg habe sie zum Waldparkplatz an der Platter Straße geführt, die man dort dank der Unterführung gefahrlos queren könne. Ob die Herren eine Ahnung hätten, was im Berufsverkehr dort oben los sei? Baltasar laufe am liebsten im gemütlichen Schritt, erklärte sie unter dem verständnisvollen Nicken der beiden Kriminalkommissare, und so bleibe ihr unterwegs genügend Zeit, die Gegend zu beobachten und im Unterholz nach Pflanzen Ausschau zu halten. »Die Botanik ist meine zweite Leidenschaft neben dem Reiten. Ich unterrichte Biologie und Latein.«
»Sie kamen also von dort drüben?« Wolfert zeigte mit ausgestrecktem Arm auf einen Waldweg, über den ein Fußgänger in wenigen Minuten das Jagdschloss Platte erreichen konnte.
Die Zeugin nickte eifrig. »Beim Näherkommen fiel mir etwas Blaues im Laub auf. Ein Müllsack, dachte ich, und dass jemand mal wieder seinen Abfall im Wald entsorgt hat.« Sie hatte die Buschgruppe passiert, die sich von Balthasars Rücken aus gut überblicken ließ. Dabei war ihr die Jeansjacke aufgefallen. Der Mann lag unter Laub und Geäst verborgen und wäre von einem Fußgänger nicht so bald entdeckt worden. Das Gestrüpp wuchs zum Parkplatz hin sehr dicht.
»Wie ist er gestorben?«, fragte Frau Dr. Roth und veranlasste das Tier mit einem Stupser gegen die muskulöse Schulter, zurückzuweichen und die Sicht auf Leute in Weiß freizugeben, die sich rings um den Fundort zu schaffen machten.
Milano behielt das Tier im Blick, während er die Frage mit der Floskel beantwortete, das würden die Ermittlungen zeigen. »Haben Sie jemanden gesehen, oder ist Ihnen etwas aufgefallen?«
»Rein gar nichts«, erklärte die Dame mit Nachdruck.
»Sie können weiterreiten, Frau Dr. Roth. Ihre Aussage nehmen wir später schriftlich auf.«
Er wandte sich ab und überließ es dem Kollegen, sich für die Hilfe zu bedanken.
Wolfert zeigte auf den Sattel, dessen Steigbügel sich in Kopfhöhe der Reiterin befanden. »Ziemlich hoch. Wie kommen Sie rauf?«
»Ich suche mir eine Bank oder einen gefällten Baumstamm. Denken Sie, ich klettere wie ein Äffchen hinauf?«
Eine derartige Aufsteighilfe war weit und breit nicht zu entdecken. Wolfert, der schon befürchtete, er müsste ihr in den Sattel helfen, sah erleichtert zu, wie sich die Frau mit dem Pferd am Zügel zu Fuß aufmachte.
Luigi wartete am Fundort und winkte ungeduldig. »Wo bleibst du, Dirk!«
Die Kollegen der Spurensicherung hatten ihre Arbeit so weit abgeschlossen, dass die Kriminalkommissare ohne Schutzkleidung an die Leiche herangehen durften.
Milano beugte den stämmigen Hals herab und schaute versonnen auf die dunkelbraunen Locken der Kollegin, die im weißen Overall neben dem Toten im Laub kniete. Der Mann lag auf dem Rücken, die Arme neben dem Körper und den Blick gegen den Himmel gerichtet. Er mochte Mitte 30 sein, schätzte Wolfert. Mit sportlicher Figur und einem attraktiven Gesicht.
Die junge Frau deutete auf den Handteller großen Blutfleck, der sich in der Herzgegend auf dem gelben Hemd ausgebreitet hatte. »Seht ihr diesen
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