Kurzes Buch ueber das Sterben
beschränkt. Die Physiologie schien alles zu dominieren. Eine langsame Aufeinanderfolge von Schlafen, Füttern, Waschen – Tätigkeiten, mit denen alles einmal angefangen hat. Der Geruch von Betten, Körpern und Essen. Im Flur hallen Stimmen wider, Geschirr scheppert, und aus den Zimmern strömt die warme Luft. Und mittendrin Augustyn, der mit einer Hand seinen Rollstuhl bewegt und immer wieder sagt: »O Scheiße. Entsetzlich.«
Augustyn starb im Juli im Pflegeheim. Es war heiß. Er starb an Herzversagen. Am Tag, in seinem Zimmer, mit Blick auf den Hügel und das Städtchen. Ob im Sessel oder im Bett, zusammengerollt auf der Seite, wie es seine Art war, weiß ich nicht. Im Laufe der Zeit hatte er immer mehr Wörter benutzt, sein Lächeln und sein Blick waren klarer geworden. Beim letzten Besuch hatte ein Freund von früher ein Päckchen Zigaretten dabei. Als Augustyn das sah, holte er sich einfach eine heraus und verlangte Feuer. Nicht ausgeschlossen, dass er zum ersten Malseit Jahren wieder rauchte. Er tat es mit Genuss, auf dem Bett sitzend, mit perfekten Bewegungen, als wäre es die erste Zigarette nach dem Aufwachen. Und mit diesem Blitzen in den Augen, weil er genau wusste, dass das Rauchen im Zimmer verboten war.
Er starb im Juli, und niemand war dabei. Ein Pfleger hat ihn gefunden. Wir haben ihn auf dem Friedhof beerdigt, mit weitem Blick nach Osten, wo sich in der Ferne, zwischen den grünen Hügeln, der silbrigblaue San schlängelt.
Die Hündin
U nsere alte Hündin stirbt langsam. Als Erstes hat sie das Gehör verloren, dann die Sehkraft und zum Schluss den Geruchssinn. Aber hin und wieder bewegt sie sich noch, und sie hat einen gewaltigen Appetit. Manchmal versucht sie zu bellen. Sie kann kaum stehen, schaut mit blinden Augen vor sich hin und bellt ihre Hundegedanken an, ihre Einbildungen, vielleicht auch ihre Erinnerung. Sechzehn Jahre hat sie mit uns gelebt. Wir haben sie schon als Welpe bekommen. Eines Sommers brachte eine Freundin sie mit und ließ sie bei uns auf dem Dorf. Wir sparten uns damals die Routineimpfung, die man mit Welpen machen sollte, und sie erkrankte an Parvovirose. Doch es gelang uns, sie zu retten, indem wir sie jeden Tag zum Tierarzt fuhren, wo sie Infusionen bekam, die den Tod durch Dehydrierung abwendeten. Es blieb nur eine leichte motorische Schwäche der Hinterbeine. Aber sie lief fünfzehn Jahre lang herum und konnte mit den anderen Hunden mithalten. Im Winter verschwanden sie manchmal für zwei, drei Tage. Ich ärgerte mich, aber schließlich ließ ich den Geländewagen an, kämpfte mich durch den Schneeund suchte die menschenleeren Täler ab. Sie fanden sich immer wieder ein. Ausgezehrt, abgemagert, halbtot und anscheinend ohne die geringste Idee, was sie mit ihrer Hundefreiheit anfangen und wie sie nach Hause kommen sollten. Gehorsam ließen sie sich ins Auto packen und rührten sich danach eine Woche nicht von der Stelle, es sei denn, zu ihrer Schüssel.
Die Hündin war die älteste. Alle anderen waren ihre Nachfahren. Kinder, Enkel und Urenkel. Auf dem Land, in nahezu unbegrenzter Freiheit, kann man schlecht aufpassen. Hunde sind schlau, und wenn es um die Erhaltung der Art geht, sind sie dreimal so schlau. Nach dem dritten Wurf ließen wir die Hündin sterilisieren. Diese Vermehrung war lästig geworden, denn wir lebten damals in gemieteten Häusern, zogen ständig um, manchmal in Dörfer, wo die Leute beim Anblick eines freilaufenden Hundes, der größer als eine Katze war, Gänsehaut bekamen. (Ja, das Dorf fürchtet sich vor fremden Hunden, fremde Hunde beißen, gegen diesen jahrhundertealten Glauben ist kein Kraut gewachsen. Und in diesen Dörfern hat er irgendwie auch seine Berechtigung.) Aber unsere Hündin war sanft. Ihre Enkel und Urenkel beißen manchmaldie Schafe des Nachbarn tot. Dann fluche ich vor mich hin, nehme Geld und gehe los, um für das Vergnügen der Hunde zu bezahlen. Aber sie hat nie jemandem etwas getan. Einmal brachte sie, von einem fernen Instinkt geleitet, ihren Welpen ein halbwüchsiges Hühnchen. Doch sie krümmte dem Vogel keine Feder. Sie hielt ihn so behutsam im Maul, als trüge sie einen Welpen. Sie scheint sich sogar geschämt zu haben für diesen Unfug. Das freigelassene Huhn kehrte unbeschadet wieder heim.
Jetzt sehe ich, wie sie in einem Flecken der Wintersonne auf der Veranda liegt. Sie hat ein gelbliches Fell, eine etwas dunklere Schnauze und Schlappohren. Eine echte Promenadenmischung. Es lässt sich wohl kaum sagen, welche
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