Kurzes Buch ueber das Sterben
Rassen in der Vergangenheit aufeinandergetroffen sind und sich vermischt haben, damit vor sechzehn Jahren dieses komische, ein bisschen ungeschickte, gutmütige Tier bei uns auftauchen konnte. Jedenfalls hatten ihre Mischlingsgene viel Kraft, denn die folgenden Generationen, ihre Enkel und Urenkel, kamen fast mit der gleichen sandgelben Farbe und den gleichen Schlappohren auf die Welt. Jetzt liegt sie in diesem Sonnenflecken und schläft fast ununterbrochen. Wenn einer von uns ganz nahe herangeht, hebt sie den Kopf. Schwer zu sagen, ob sie uns erkennt. Aber wenn man sie berührt und streichelt, freut sie sich immer noch. Wie sie es ihr Leben lang getan hat. Jetzt erinnert sie an einen alten, fusselnden Teppich. Obwohl der Winter kommt, geht ihr das Fell aus, das dichte, flauschige Futter, das dafür sorgte, dass sie sich in einer Schneewehe zusammenrollen und einschlafen konnte, mit dem Schwanz die Schnauze bedeckend.
Sie hat sehr abgenommen. Wenn sie aufsteht, sieht sie aus wie ein mit schmutziggelber Watte beklebtes Skelett. Sie kann sich kaum auf den Beinen halten, schwankt, taumelt. Zehn, zwölf Schritte schafft sie, dann kehrt sie wieder zu ihrem Lager zurück. Sie stinkt. Riecht ganz einfach nach Alter. Nach einem Körper, der aufhört, sich zu bewegen. Ich entdecke an ihr noch den alten Geruch aus der Zeit, als sie in Wind und Regen angerannt kam, aber er wird immer schwächer. Manchmal versucht sie sich zu kratzen, aber es fällt ihr immer schwerer. Diese typischste aller Hundebeschäftigungen wird für sie allmählich unmöglich. Die Pfote erreicht nicht ihr Ziel und stockt im Leeren.
Vorläufig ist der Winter mild und schneelos, und sie kann auf der Veranda wohnen. Schlimmer wird es sein, wenn der Frost kommt. Die Hündin macht einfach dahin, wo sie liegt. Wenn sie einen guten Tag hat, legt sie ein paar Meter zurück, aber oft macht sie einfach direkt neben ihr Lager. Übelnehmen kann man ihr das nicht, denn außer der Berührung von Menschen ist das Fressen die einzige Freude, die sie noch hat. Sie frisst leidenschaftlich und gierig, und man muss auf ihre Zähne achtgeben, wenn man ihr etwas hinhält. Aber damit sie überhaupt etwas riecht, muss man es ihr direkt unter die Nase halten. Auch dann schnuppert sie blind nach allen Seiten und trifft eher zufällig. Es ist also schwer zu sagen, ob sie bei einem so rudimentären Geruchssinn noch einen Geschmack empfindet. Oder ob sie sich, einem ursprünglichen Reflex folgend, einfach vollstopft, sich den Magen füllt, etwas hinunterschlingt. Um es ein paar Stunden später direkt daneben wieder loszuwerden. Deshalb fürchte ich mich vor dem Winter und dem Frost. Wir werden sie ins Haus nehmen, jeden Morgen und auch tagsüber den Raum saubermachen müssen, denn sie gibt keinerlei Zeichen, dass sie hinaus will. Sie hataufgehört, Zeichen zu geben, genauso wie sie die Fähigkeit verloren hat, hinauszugehen.
Manchmal ärgere ich mich über sie. Als wäre sie uns zum Trotz alt und gebrechlich geworden, aus reiner Bosheit. Ich gehe täglich viele Male an ihr vorbei, steige über den gequälten Körper, und es gibt Momente, in denen ich genervt reagiere. Als würden – zusammen mit ihrem Leben – meine guten Gefühle zu ihr verschwinden. Darin liegt etwas Grausames, das nicht dem Willen unterliegt. Ich beuge mich hinunter und streichle sie. Was früher ein Reflex war, wird jetzt zu einer bewussten Tätigkeit.
Ich schreibe das alles, weil ich zum ersten Mal den langsamen, sich hinziehenden Tod eines Wesens betrachte, mit dem wir über Jahre hin fast jeden Augenblick des Lebens geteilt haben. Ich spreche mit Leuten darüber, die sagen, es sei am vernünftigsten, die Hündin einzuschläfern. (Das ist übrigens ein interessanter Euphemismus. Niemand sagt »töten«. Alle reden vom »Einschläfern«, das heißt, von etwas Sanftem und gleichsam Vorübergehendem.) Ich weiß, dass das vernünftig ist, dass es üblich ist und dass diejenigen, die es tun, das Gefühl haben, sie würden das Leiden lindern, es verkürzen und sich human verhalten. Auch mir ging das einen Moment lang durch den Kopf. Doch wir haben beschlossen, dass es anders sein soll.
Ich schreibe diesen Nachruf auf ein lebendes Tier beziehungsweise diese Erinnerung zu Lebzeiten, weil mir zum ersten Mal die Erfahrung zuteil wird, so lange, systematisch und genau zu beobachten, wie ein lebendiges Wesen sich in einen gebrechlichen Körper und zuletzt in eine Leiche verwandelt. Ich betrachte die Hündin und
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