Kurzgayschichten
ob ich einfach so meinem Gefühl folgen und ja sagen sollte.
„Das Angebot ist sehr verlockend, aber ich möchte keine Umstände machen“, antworte ich daher unsicher.
„Ich bin Heiligabend auch oft allein, wenn mich nicht meine Eltern besuchen kommen, ich würde mich also sehr freuen, wenn du mir Gesellschaft leisten würdest.“
„Du brauchst mich nicht aus Mitleid einzuladen. Ob ich hier Heiligabend verbringe oder allein zu Hause macht mir nichts aus.“
Er ergreift meine Hand und scheint richtig aufgebracht, als er hastig fortfährt. „Es ist nicht aus Mitleid, weil du blind bist, wirklich nicht, ich finde dich sehr attraktiv, es kommt mir falsch vor, wenn ein so faszinierender Mensch wie du Weihnachten ganz allein verbringt.“
Er holt kurz Luft, dann lässt er meine Hand, die er leicht gedrückt hat, wieder los. „Ich hoffe, das war nicht zu direkt und du fühlst dich jetzt bedrängt oder so. Du brauchst keine Angst haben, ich fass dich schon nicht an oder so, nur weil ich, na ja, weil ich auf Männer stehe, sieh es einfach als unverfängliche Einladung zu einer Feier ...“
Die Erkenntnis, dass er auch schwul ist, überrascht mich und weckt in mir ein unbestimmbares Gefühl der Freude.
„Es macht mir nichts aus, dass du schwul bist, sonst müsste ich mich wohl auch verstecken. Wenn ich keine Umstände mache, würde ich den Abend gern mit dir verbringen.“
Woher ich das Vertrauen und die Zuversicht nehme, weiß ich nicht, der Impuls, der mir sagt, dass ich diesen Mann begleiten sollte, ist stärker als die Angst gegenüber allem Neuen.
Er drückt meine Hand und fast kann ich mir vorstellen wie er dabei lächelt.
„Ich geh das kurz klären, bin gleich wieder da!“ Er küsst meine Handfläche, bald darauf quietscht die Tür leise.
Die Haut prickelt leicht, wo mich die fremden Lippen berührt haben. Mein Herz hämmert unkontrolliert gegen meinen Brustkorb und ich fühle mich seltsam leicht und zufrieden.
Mit einem Mal wird alles andere wichtiger als meine Blindheit.
Kurze Zeit später knarrt die Tür erneut und schnelle Schritte bewegen sich auf das Bett zu.
„Gut, lass uns gehen ...“ Er ergreift meine Hand und ich steige fast schon überschwänglich aus dem Bett, angele nach meinem Mantel und dem Stock, den Gott-weiß-wer neben das Bett gestellt hatte und verlasse mit ihm das Krankenhaus.
Die Kopfschmerzen sind wie weggeblasen, zum ersten Mal ist der unbestimmte Druck, der seit Jahren auf mir lastet, weg, ganz so, als sei er nie da gewesen.
Wir treten nach draußen, wo uns eifrig tanzende Schneeflocken empfangen und sich auf unseren Mänteln ausruhen.
Er hakt sich bei mir unter und führt mich die Straßen entlang, mein Stock wandert eher halbherzig über den immer noch glatten Bordstein. Er hält mich so sicher, wie seine Gangart ist.
Irgendetwas sagt mir, dass ich genau an diesem Abend etwas erleben werde, das mein Leben von Grund auf ändern wird: Das betörend narkotisierende Gefühl von Glück und innerer Zufriedenheit, das länger als nur einen Abend lang anhalten sollte.
Nachwort
Wenn man wie ich den größten Teil seines Lebens in einer Kleinstadt mit achtzig Prozent Plattenbau verbringt, entwickelt man eine seltsame Auffassung von Romantik.
Mit zwölf Jahren war ich das erste Mal in Berlin, ich durfte meinen älteren und wesentlich cooleren Bruder begleiten und stolperte mehr oder weniger in meinen ersten CSD.
Damals war es noch die Maskerade und dieses allgemeine Gefühl von Freiheit und Zusammenhalt, das mich faszinierte.
Heute bin ich der Hauptstadt näher als je zuvor und weiß, dass es eigentlich dieses kollektive und fast schon besessene Streben nach Glück in den Gesichtern der unzähligen Männer und Frauen war, das mich wie magisch anzog und mich noch heute zum Christopher Street Day gehen lässt.
Ja, ich glaube sogar, dass das ganz persönliche Glück eines jeden Einzelnen sein wirkliches Sex-Appeal ausmacht und die Geschlechter letztendlich völlig verschwimmen lässt.
E. Meyer
Aus unserem Programm:
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El contrato –
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