L wie Liquidator
unerwartete Gegenströmung führte zu einer Verlangsamung, fast Stagnation, des Trends. Die Zustimmung zur sogenannten Kryo-Reform blieb bei rund 43% stehen. Doch der drohende Rückschlag bewog die Befürworter des Projekts, sich noch deutlicher zu artikulieren. Sie begannen, die Vorzüge der Kryo-Reform, die bisher in relativ abstrakter wirtschaftspolitischer Form dargestellt wurden, nunmehr in volkstümlicher, populärer Weise zu vermitteln. Sehen Sie auch dazu ein typisches Beispiel aus der großen Mainzer Karnevals-Prunksitzung.
Die letzten Gardemädchen tänzeln küßchenwerfend von der Bühne, die Marschmusik endet mit einem schmissigen Schlußakkord. Der Sitzungspräsident schwingt seine Glocke und ruft: »Und jetz, holde Närrinnen und Narhalesen, widd’s änst. Drauße steht ayn Abbeytslosä. Wolle man raylasse?« Beifall und Johlen. »Ja? Kappellmeistä: Narhallamasch!«
Zu den Klängen der Fasenachts-Hymne kommt ein zitternder, graublaublaß geschminkter Mann in einem schmutzigen Overall auf die Bühne gestolpert. Er torkelt zur Bütt und klammert sich heftig daran fest.
»Täusche Sie sich net in mir«, sagt er und schaut langsam in die Runde. »Ich bin zwar ayn Abbeytslosä, abber ich bin trotzdem nüchtän.«
Die versammelten Minister, Honoratioren und sonstigen Mitmenschen jubeln begeistert. Tusch tä-TÄ-tä-TÄ-tä-TÄÄ.
»Nä, ich habb bloß den Auftau-Dadderich. Die ham mich grad ärst ausem Kühlfach geholt, und jetz is mirs noch was kyhl. Leut, ich sach euch, so ändern sich die Zeyte: Früher habb ich immä gänn Eisbein gegesse, heut habb ich selbä welche.«
Prustendes Entzücken im Saal. tä-TÄ-tä-TÄ-tä-TÄÄ. Der Arbeitslose strafft sich und beginnt nun im typischen Schrei-Singsang des Büttenredners zu deklamieren.
»Von Flensburg bis zum Bodensee,
was hatt mers früher schee,
ham unsä Abbeytslosegeld kassiert
und uns damit flott amüsiert,
kaum war des Geld aus Nürnberg da,
schon ging’s ab zur Adria.«
Tosender Applaus und Tusch, der wegen des anhaltenden Beifalls wiederholt wird.
»Ham uns gesonnt, so lang es geht,
daheim ham se gschafft – die war’n so blöd,
ham uns en faule Lenz gemacht
und uns den Buckel vollgelacht,
ham uns beim Vatter Staat bedient
und nebebei noch schwazz verdient.«
Beifall, Pfiffe, der Arbeitsminister applaudiert mit erhobenen Händen.
»Die goldne Zeyte, die sin jetz vorbei,
finito die Schmarotzerei,
heut bleibt der Abbeytslose kalt,
liegt tiefgekühlt im Westerwald.«
Triumphgeheul, rhythmisches Händeklatschen. tä-TÄ-tä-TÄ-tä-TÄÄ. tä-TÄ-tä-TÄ-tä-TÄÄ.
Der Beitrag entfachte, für uns heute vielleicht unverständlich, erbitterte Gegenreaktionen, allerdings überwiegend nur in Zeitungen und Zeitschriften, relativ unwichtige Medien also. Beim Fernsehpublikum war die Sendung, die eine enorm hohe Zuschauerquote hatte, dagegen sehr gut angekommen. Die Zustimmung zum Einfrierprojekt stieg nach dem Mainzer Fernseh-Karneval – der noch eine Vielzahl ähnlicher Beiträge brachte – auf 50%. Ja- und Nein-Stimmen hielten sich also die Waage. Doch dieser Zustand der Unentschiedenheit sollte sich nach einer weiteren Fernsehsendung gewissermaßen über Nacht dramatisch verändern. Das Zünglein an der Waage war KUNTERBUNT, das große Familien-Unterhaltungsquiz am Samstagabend. Deshalb: Vorhang auf für KUNTERBUNT mit dem unvergessenen Tom Thalmeier.
Die Bühnenkulisse ist ein blendendhell glitzernder, märchenhafter Eispalast. Auf Eistreppen und Eisbergen im Hintergrund räkeln sich spärlich bekleidete Meerjungfrauen. Ein Ballett aus Pinguinen und Eisbären windet sich zu einem harten Disco-Beat. Eine dunkelhäutige Sängerin in einem weißen Pelz-Tanga stöhnt ihre letzten Worte ins Mikrofon.
» … I like it, I lick it, I like it, I lick it …«
Die Playback-Musik blendet aus, Sängerin, Pinguine, Eisbären und Meerjungfrauen verbeugen sich im aufrauschenden Beifall und gehen ab. Quizmaster Tom Thalmeier eilt applaudierend auf die Bühne.
»Großartig, vielen Dank, sänkju werry matsch. Das war Clarissa Climax mit ihrem Super-Hit I like your South Pole. Ja, das waren heiße Rhythmen auf kühlem Eis. Und was liegt beim Stichwort ›Eis‹ näher als das Thema Kryo-Technik. Viel haben wir in den letzten Wochen darüber gehört und gelesen. Wir wollen heute versuchen, das Thema von einer ganz anderen Warte aus zu sehen. Dazu begrüße ich zwei liebe gute Bekannte, die Sie alle vom
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