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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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Namenlos
    Eine erste Begegnung mit dieser Frau, die in der Geschichte die Hauptrolle spielt, verlief im Vergleich zu den folgenden recht banal. Es mochte etwa sechs Wochen her sein, da verließ Dalio, der Autor bis jetzt reichlich wenig gelesener Romane und Maler ebenso wenig erfolgreicher Bilder, seine bescheidene, aber preisgünstige Dachwohnung und ging die Treppe hinunter. Er begegnete auf dem zweiten Absatz der besagten Frau. Dalio trat überrascht zur Seite, als sie, ihm freundlich zulächelnd, die Treppe emporstieg. Dalio sah ihr nach. Sie überschritt den nächsten Treppenabsatz und entzog sich seinem Blick.
    Er fragte sich, ob sie wohl zu ihm wollte. Es musste eigentlich so sein, denn außer ihm wohnte niemand hier oben.
    Dalio stieg die Treppe wieder hoch. Seine Neugier war geweckt. Schließlich stand er verdutzt vor seiner eigenen verschlossenen Wohnungstür. Da war niemand mehr. Es gab hier keine zweite Türe, auch keine Treppe auf den Dachboden. Seine Wohnung war der Dachboden. Die Frau hatte sich in Luft aufgelöst.
    Dalio war sehr stolz darauf, ein Künstler zu sein und gleichzeitig über einen robusten Körperbau und eine stabile Seelenkonstitution zu verfügen. So erlitt er auch jetzt weder einen Schock noch einen hysterischen Anfall, oder geriet gar in Panik. Er fühlte sich eigenartig berührt. Es war irgendetwas zwischen verwundertem Staunen und mulmigem Gefühl.
    Er schüttelte den Kopf, verdrängte, was ihn irritierte und kehrte zu dem zurück, was er eigentlich tun wollte, bevor er diese seltsame Begegnung hatte. Er ging auf den Markt, um einzukaufen. Im Betrieb der Menschen, im Gewirr der Stände, in den intensiven Farben und Gerüchen der angebotenen Waren verlor er rasch die Erinnerung an dieses Erlebnis, wie einen Merkzettel, auf dem man vorgeblich Wichtiges notiert, ihn sorgfältig und umständlich wegsteckt und vergisst, wohin.
    Das zweite Erlebnis mit der Namenlosen geschah einige Tage später und verlief weniger unverbindlich als das erste. Es durchbrach die Grenze der rein visuellen Wahrnehmung. Dalio hatte bis tief in die Nacht hinein an einem Bild gearbeitet. Später sollte es einmal zur Illustration einer Kurzgeschichte dienen, die Dalio schon geschrieben hatte. An jenem denkwürdigen Abend empfand Dalio nicht dieses befriedigende, satte, runde Gefühl, das ihm normalerweise ein Gelingen seines Werkes signalisiert hätte.
    Es ging um ein visionäres Erlebnis. Der Held der Geschichte sah wie gebannt auf einen dunklen Teich, der für ihn zum Tor zu einer anderen Welt werden sollte. Dalio hatte für das Bild einen Jugenstilaufbau gewählt, der bei aller Nutzung dekorativer Details, vor allem aus der Spannung in der Linienführung lebte.
    Jetzt lag dieses Bild vor ihm. Dalio wusste, er hatte etwas Bestimmtes vergessen, aber er fand nicht heraus, was. Ärgerlich stand er auf, wandte sich von dem Tisch mit der schräggestellten Zeichenplatte ab. Er ließ sich in eines der Sitzpolster fallen, die er als Sitzgruppe um eine einfache, runde, direkt auf dem Boden liegende Holzplatte versammelt hatte. Hier stand sein Tee und war inzwischen kalt geworden.
    Trotzdem nahm Dalio ein paar Schlucke und versuchte sich auf das Anfangsgefühl zu konzentrieren, aus dem heraus er die erste Zeichnung für die Teichgeschichte begonnen hatte. Aber er wurde immer unruhiger, weil er nicht zur Quelle zurückfand. Er begann sich erschöpft zu fühlen.
    Dalio setzte die immer noch halbvolle Teetasse auf die Tischplatte zurück. Ein Schatten fiel von rechts auf seinen ausgestreckten Arm. Er sah zur Seite. Irgendetwas musste zwischen ihn und das Licht getreten sein. Es hatte keine klaren Umrisse, aber es filterte das Licht der Stehlampe erkennbar und zunehmend ab.
    Vor seinen erstaunten und gleichzeitig das Ungewöhnliche der Situation genießenden Augen materialisierte sich eine Gestalt. Sie hatte etwa seine Größe, wobei man Dalio wahrlich nicht als klein bezeichnen konnte. Es war eine Frau im schwarzen Kleid. Ihr Gesicht blieb im Dunkeln, da sie das Licht im Rücken hatte. Als die Erscheinung vollständig war, ließ Dalio zischend den Atem aus den Lungen strömen, den er die ganze Zeit unbewusst angehalten hatte. Sie schritt auf ihn zu und blieb neben ihm stehen. Er wollte die Frau ansprechen, aber die Stimme versagte ihm zunächst den Dienst. Als das Schreibtischlicht voll auf ihr ihm zugewandtes Gesicht fiel, erkannte er, dass es die Frau aus dem Treppenhaus war.
    Aus dem Erschrecken heraus versuchte er ein

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