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Lady Punk - Roman

Lady Punk - Roman

Titel: Lady Punk - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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benutzen, und rannte, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter, was fast zu viel für ihre enge Levis war. Die kniff im Schritt. Terry sang laut: »Wenn die Einsamkeit erwacht. Ich ertrink in Langeweile. Hilfe, Hilfe, rette mich, rette mich, ich ertrink in Langeweile, rette mich«, und je tiefer sie kam, desto kräftiger brüllte sie, damit es auch ja bis in den vierten Stock schallte: »Hilfe, Hilfe, rette mich.« Boy, es ging ihr gut.
    Im Erdgeschoss riss die Sprechstundenhilfe von Dr. Gutbrod die Tür auf und ermahnte Terry zur Ruhe. Dr. Gutbrod war ein mieser Typ, trug immer zweifarbige Schuhe, am liebsten schwarz-weiße, und behandelte seine Patientinnen vorzugsweise am frühen Abend. Auf seinem Namensschild stand Karl-Heinz Gutbrod, Frauenarzt , und kein Dr. dabei. Terry war überzeugt, dass er mit seiner Sprechstundenhilfe in der Praxis ein Ding drehte, irgendeine Schweinerei. Wenn die Tür zu den Praxisräumen aufstand, wie jetzt, konnte Terry hineinsehen. Die Praxis sah noch überladener aus als Lieschens Wohnzimmer. Dr. Gutbrod behandelte seine Patientinnen im Anzug und ohne weißen Kittel und seine Sprechstundenhilfe war eine richtige Krankenschwester mit Häubchen. Das sagte doch alles.
    Im Flur der Praxis stand Dr. Gutbrod vor einer Frau, die hemmungslos weinte. Dr. Gutbrod streichelte ihr ständig den Rücken und sagte, dass er ihr doch nur helfen wolle. Da heulte die Frau noch mehr. Ihr sei doch nur so schlecht, sagte sie. Jaja, sagte Dr. Gutbrod, es werde alles gut werden, sie solle sich nur beruhigen. Und da riss die Frau sich los und rannte aus der Praxis und die Sprechstundenhilfe blickte ihr nervös nach und dann mit flatternden Augen auf Terry.
    Terry tat so, als ob Dr. Gutbrod und seine Sprechstundenhilfe Luft für sie waren. Sie schaute hochmütig über sie weg, aber sie wollte sich das alles merken.
    In der Eingangshalle schritt sie langsam die Marmorstufen hinab, ganz lässig, ja, mit ihr musste man rechnen. Sie hörte, wie die Tür zur Praxis von Karl-Heinz Gutbrod zuklickte. Oben stellte Frau Krosanke den Staubsauger wieder an.
    Durch die bleiverglasten Flügel der Eingangstür konnte Terry auf die Straße sehen. Wegen der abgetönten Glasscheiben sah es draußen bläulich und kühl aus. Terry warf den Kopf in den Nacken. Der verrückte Herbert, der die Gärten im Hinterhof versorgte und manchmal hier im Haus Portier spielte, riss an der Messingstange der Tür. »Madam«, sagte er und hielt Terry den rechten Türflügel weit auf.
    Terry hob ihren Arm und tippte mit dem Zeigefinger grüßend an ihre Stirn. Dann ging sie hinaus. Vom Turm der Trinitatis-Kirche schlug es zwölf Uhr.
    Terry Burger ging ihren Lieblingsweg zum Zentrum der Stadt. Er war kurzweiliger als der Gang durch die lange Bismarckstraße zum Reuterplatz und durch die Hardenbergstraße zum Zoo. Sie lief im Zickzackkurs durch die Nebenstraßen mit ihren ruhigen, hohen Wohnhäusern, die sich alle etwas ähnlich sahen. Terry achtete darauf, ihre Route genau einzuhalten, immer eine Straße rechts, die nächste links. Sie kam genau am Kudammtheater heraus.
    Immer, wenn sie am Ende der Knesebeckstraße stand und sich entscheiden musste, ob sie links oder rechts auf den Kurfürstendamm einbiegen sollte, hatte sie das Gefühl, von einer Welt in eine andere zu treten. Es war ein Unterschied wie Wald und Stadt oder Grün und Rot oder eher Leben und Tod, aber auch wenn Terry jedes Mal einen kurzen Moment lang erwartete, dass hier im Zentrum sich das Leben tatsächlich abspielte, so wusste sie doch schon längst, dass das wahre Leben nirgendwo zu finden war.
    Terry Burger hatte schon alles hinter sich. Wenn sie sah, wie andere in ihrem Alter oder auch schon welche, die ein paar Jahre mehr aufzuweisen hatten, sich bemühten, wie Erwachsene zu sein, so hatte sie nur ein müdes Lächeln für diese kläglichen Versuche übrig.
    Terry hatte schon vor zwei Monaten das Rauchen aufgegeben. Sie hatte zwei Jahre lang wie ein Schlot gepafft, Kette, und Lieschen hatte ihr ins Gewissen reden wollen, aber es war zwecklos gewesen. Terrys Mutter hatte ein Verbot ausgesprochen, aber Terry hatte nur gelacht. »Gerade du«, hatte sie gesagt und nicht nur das Rauchen gemeint, und obwohl es zwischen ihnen nie ausgesprochen wurde, hatte die Mutter gewusst, was Terry meinte, und den Mund gehalten. Terry hatte nun versucht, ihre tägliche Ration zu verdoppeln. Sie paffte die Wohnung so voll, dass Frau Krosankes Zwiebelgeruch kaum mehr zum Zuge kam,

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