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Ladylike

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Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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ja mit den seltenen Schäferstündchen vollkommen zufrieden zu sein.
    Manche Kunden nahmen an, Percy sei Kunsthistoriker, tatsächlich hatte er sich aber sein großes Wissen selbst erworben. In jungen Jahren war er zwar zum Goldschmied ausgebildet worden, hatte jedoch nur kurz bei einem Meister gearbeitet. Nach dem Krieg, aus dem seine Beinverletzung stammte, eröffnete er mutig einen kleinen Laden. Anfangs nahm er ganz unterschiedliche Gegenstände und auch Trödel in Zahlung und handelte damit. Amerikanische Soldaten erstanden gern ein Souvenir wie beispielsweise einen Orden und waren erfreut, daß Percy auf englisch Auskunft gab. Später, als er sich auf Schmuck spezialisiert hatte, konnte er seinen erlernten Beruf doch noch ausüben. Es gehörte nämlich eine Weile zu Percys Kundendienst, kleine Änderungen und Reparaturen eigenhändig auszuführen.

Aus Dummheit und Stolz verzichtete ich nach der Scheidung auf Unterhaltsansprüche. Finanziell stand ich trotzdem nicht schlecht da, aber große Sprünge konnte ich in jener Zeit nicht machen. Ich hielt es für gerechtfertigt, daß Percy bezahlte, wenn wir essen gingen. Seine Wäsche gab er zwar weg, aber ich habe doch so manches neben der beruflichen Arbeit für ihn erledigt. Im übrigen war er weder geizig noch großzügig, sondern in finanziellen Dingen äußerst vorsichtig.
     
    Als Percy schon mit 65 Jahren starb, fühlte ich mich schuldig, ganz anders als Anneliese beim Tod ihres vergifteten Ehemanns. Auch habe ich oft darüber nachgedacht, ob er in seiner letzten Stunde immer noch glaubte, seine kleine Schwalbe habe ihm Glück gebracht. Obwohl Frau Rebhuhn gelegentlich eine Herzkrankheit erwähnt hatte, erkundigte ich mich fast nie nach seinem Gesundheitszustand. Zu meiner Entschuldigung kann ich anführen, daß er selbst weder über Beschwerden klagte, noch in den letzten Jahren ein EKG machen ließ.
    Wahrscheinlich hatte ich ihn an jenem schwülen Tag überfordert. Nach langer Abstinenz sehnte ich mich so sehr nach Sex, daß ich in der Mittagspause die Initiative ergriff. Leider wurden meine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt, und Percys rosige Gesichtsfarbe war einer kaltschweißigen Blässe gewichen. Mein Liebhaber entschuldigte sich wie ein Gentleman und bedauerte, daß er heute nicht ganz auf dem Posten sei. Dann bat er mich, ohne ihn ins Geschäft zurückzukehren. Er verließ meine Wohnung, setzte sich in den Wagen und fuhr nach Hause; ich glaubte fälschlicherweise, er könne mir aus Scham erst nach einer längeren Pause in die Augen sehen.
    Ob er bereits am Nachmittag oder erst in der Nacht starb, läßt sich nicht rekonstruieren. Da er am nächsten Morgen nicht im Geschäft erschien, suchte ich in banger Ahnung seine Wohnung auf und fand einen Toten.
     
    Wieder waren es dieselben Menschen, die mir über meinen Kummer hinweghalfen: Anneliese mit tröstenden Worten, Percy mit seinem Testament. Er hatte mich als Alleinerbin eingesetzt.
    Mit 53 Jahren war ich unverhofft eine gutsituierte Frau geworden, die sich um die Zukunft keine Sorgen mehr machen mußte. Erfreulicherweise konnte ich jetzt wählen, ob ich faulenzen, vom Kapital leben, auf Enkel warten, um die Welt reisen oder wie bisher arbeiten wollte. Es war für mich keine Frage, daß ich mich für den Beruf entschied und in Percys Sinn den Laden weiterführte.
    Das Antiquitätengeschäft lief in den 8oer und 90er Jahren noch recht gut, und Wiesbaden war ein geeignetes Pflaster für wohlhabende Kundschaft. Zudem gab es viele Kurgäste, die sich oder andere für die Strapazen ihrer Therapie mit einem Schmuckstück belohnten. Ich ließ das alte Rebhuhn-Schild abmontieren und nannte meinen Laden jetzt Die Goldgrube . Im Gegensatz zu Percy verkaufte ich außerdem Modeschmuck aus der Vorkriegszeit, der auch für Frauen mit einem kleineren Etat erschwinglich war. Mein Kontostand wuchs langsam und stetig, und ich leistete mir nur noch seidene Kleider. Am liebsten trug ich ein helles Grau, auf dem mein eigener Schmuck gut zur Geltung kam.
     
    Allerdings war meine Tätigkeit als selbständige Geschäftsfrau mit harter Arbeit und Stress verbunden. Der An- und Verkauf war längst nicht alles, denn Percy hatte im stillen vieles erledigt, wovon ich keine Ahnung hatte. So hatte er die Vorauszahlungen an das Finanzamt stets sorgsam eingeplant, Termine mit dem Steuerberater wahrgenommen, die Buchführung kontrolliert, die Preise kalkuliert und ständig Entscheidungen getroffen.
    Zu meiner Entlastung stellte

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