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Lamarchos

Lamarchos

Titel: Lamarchos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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die Schublade mied, in der Sharl schlief. Sie beugte sich vor, untersuchte das Fach, das die Vryhh-Kiste umschloß, kratzte mit nervösen, ungeduldigen Fingern daran herum. Nach einem enttäuschenden Kampf, der sie zwei abgebrochene Fingernägel kostete, zerrte sie die Lade heraus, stieß sie hinter sich, wippte dann auf die Fersen zurück und schob die verschwitzten Haarsträhnen aus dem erhitzten Gesicht.
    Die Vryhh-Kiste war noch da, kalt und hart unter ihren Fingern.
    Sie ließ die Hände über die Kiste gleiten, um den Rest der Vertiefung zu erforschen. „Ah.” Sie zog eine Seilrolle heraus; Sisal um eine Kernfaser. Fremde Fertigung, deshalb versteckt. Sie entspannte sich, rieb die Stirn, plötzlich todmüde, müde von dieser Welt, müde von den Bemühungen, mit all den gegensätzlichen Ansprüchen fertig zu werden, die jammernd an sie herangetragen wurden. Mit einem vagen Rest der Neugier, die sie dann und wann plagte, tastete sie weiter in dem Schubfach herum.
    Kaltes Metall brannte unter ihrer Berührung. Behutsam zog sie den Gegenstand heraus. Ein Messer. In einer abgenutzten Lederscheide. „Wie …”
    Sie zog das Messer aus der Scheide, berührte die Schneide mit einem Finger. Kale? Maissa? Stavver? Sie drehte es in den Händen.
    Maissa? Warum sollte sie? Das Messer war nicht ihre Waffe. Miks?
    Er hatte sein eigenes Messer, er trug es bei sich. Nicht Miks. Das ließ Kale übrig. Aber er hatte ebenfalls ein Messer.
    Aleytys erinnerte sich daran, wie er es immer wieder in seinen Händen herumgedreht hatte … Sie hielt den Griff ins Licht. Da war eine winzige, beinahe abgenutzte eingravierte Zeichnung. Der Schädel eines Wolfs. Sie kniff die Lippen zusammen … Nachdenklich fuhr sie mit dem Daumen über die kleine, rauhe Stelle… Wolfsköpfe auf seinem Wagen. Warum?
    Nun denn. Nur Kale konnte das beantworten. Aleytys zuckte mit den Schultern und zog sich hoch, die Glieder steif, weil sie so lange gekniet hatte. Sie ließ das Messer neben Sharls fast sauber geschrubbte Windeln fallen und schob die Schublade wieder zu. Das Behältnis ließ sich ein wenig leichter an Ort und Stelle zurückschieben, als es herauszuholen gewesen war.
    Sie saugte an einem eingekniffenen Finger herum und setzte sich neben Maissa. Die Steinmauern der vor ihnen liegenden Stadt waren eine dunkle Masse vor dem Himmel. Noch eine halbe Stunde … Sie zerrte die Zügel aus Maissas Händen und wickelte sie um den Pflock. Die Pferde trotteten weiter voran, ohne sich um die fehlende Führung zu kümmern; mitgerissen von der ringsum voranstürmenden Horde.
    Aleytys setzte ihre Schultern an Maissas Bauch und stemmte sie hoch. Mit dem zarten Körper um den Hals gewunden, taumelte sie in den Wohnwagen. Nachdem sie Maissa auf der Pritsche ausgestreckt hatte, band sie Arme und Beine, dann Hände und Füße mit mehreren Seilstücken an den Enden der Pritsche fest.
    Sie beugte sich über Maissa. „Das wird dich von der Stadt fernhalten, Kapitän.” Sie schüttelte den Kopf. „Gestern hätte man dich töten können. Wo kämen wir dann alle hin?” Sie tätschelte Maissas Schulter und ging wieder hinaus.
    11
    Alles begann von vorn. Das Sterben. Das Brennen. Das umstürzende Minarett. Der Trommelschlag und der Singsang. Und das Schlaf-Koma.
    Aleytys rutschte von der Koje herunter und streckte sich aus, um die Verkrampfung zu lockern, die von dem zu langen Stillsitzen kam. Sie beugte sich über Maissa und runzelte die Stirn, als sie die tiefen, blutigen Quetschungen sah, die sich die rasend gewordene Frau zugefügt hatte, als sie versucht hatte, sich von den Stricken loszureißen. Sie untersuchte die Knoten; die Runzeln vertieften sich. „Später, Kapitän. Wenn wir aus diesem Schlamassel herauskommen.”
    Kurz überprüfte sie die Polsterung, die Sharl umgab; ein kurzes Streicheln über sein Gesichtchen. Die Flucht aus der Horde würde hart werden. Sie zupfte an der Wattierung herum. Keine Zeit mehr, ihn in eine Trageschlaufe zu stecken. Dies hier würde ausreichen müssen. Sie stieß die Schublade bis auf einen kleinen Spalt zu.
    Die blaue Stahlklinge des Messers schimmerte wie Seide auf dem rauhen Drillich der Matratze. Sie fädelte ein Seilstück durch eine Öse am Oberteil der Scheide, dann schob sie das Messer in die Scheide zurück. Nachdem sie die Seilenden in einem sauberen, ordentlichen Knoten zusammengebunden hatte, streifte sie die Schlinge über Kopf und eine Schulter, so daß das Messer an ihrer Hüfte hing. Bevor sie den Wohnwagen

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