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Lamarchos

Lamarchos

Titel: Lamarchos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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beschattete Gesicht des Traumsängers hinunter. „Vajd, ich will nicht weggehen.”
    Sein breiter, beweglicher Mund bog sich zu einem Lächeln. „Du tust es.”
    Sie griff hinunter, wickelte seine Finger um die ihren; die Berührung war warm, beruhigend, voller Zärtlichkeit. „Du kennst mich zu gut”, sagte sie kläglich. „Komm mit mir.”
    „Ich kann nicht.” Das Lächeln wich von seinem Gesicht, seine Augen wurden größer und größer, bis sie in der Qual ihrer Trennung von ihm darin schwamm. „Geh zu deiner Mutter, Leyta, bei ihr wirst du sicher sein.”
    Wieder einmal floh sie vor dem Schmerz, blätterte die Seiten ihres Gedächtnisses rasch weiter … Im Licht der Doppelsonne lag sie auf einem breiten, flachen Stein, die Hitze buk die Müdigkeit aus ihrem Körper. Sie lag neben der trägen schwarzen Gestalt des Tars. „Daimon”, murmelte sie vor Vergnügen. Sie vergrub ihre Hand in das dichte, weiche Fell an seiner Kehle, kraulte ihn kräftig, bis sich sein von Reißzähnen gesäumtes Maul zu einem Gähnen öffnete -ein Anblick, der einem das Herz stocken ließ. Sie lachte leise, schwelgte in seinem Vergnügen. „Daimon …”
    Eine Seite schlug um. Der Tars war fort, peitschte wie ein schwarzer Tod über die Wiese, um den Hirten zu töten, war ihr Rachegott … Das Opfer des Hirten war zusammengebrochen; Blut pulste um drei Pfeilwunden herum. Sie lief zu ihm. Seine Lippen bewegten sich schmerzerfüllt. „Unglücksbringer vom … Raqsidan …”
    Ein drittes Mal riß sie sich hastig von der schmerzenden Erinnerung los, aber aus dem Chaos der Bilder zog sie Tarnsians aufgeblähtes Gesicht heraus, wie es sich über sie beugte, während schwarze Schwingen unanständiger Macht die Luft hinter ihm peitschten, sie erstickten, sie taub machten, sie aus ihrem Körper heraustrieben, bis ihr Geist unter der Last ihres Schreckens und ihres Ekels zersprang. Sie versuchte, sich vom ekelerregenden Schrecken dieser entsetzlichen Zeit loszureißen, aber sie war von dem heißen, stillen Nachmittag gefangen, der Erinnerungen in Alpträume verwandelte.
    Wie eine Fliege, die sich aus dem Gefängnis eines Spinnennetzes freikämpft, bemühte sie sich, bis ein unberührbares Etwas minimal nachgab - und sie wieder floh. Sie ritt wie wahnsinnig, war in Staub getränkt, die Läufe eines schwarzen Hengstes stampften, stampften unter ihr …
    Sie träumte von der unbarmherzigen Verfolgung, spürte den Druck des fremden Geistes wie einen Stachel, der sie über ihre Kräfte hinaus antrieb … Alles, um nur wegzukommen … Weg.
    Das Wort pochte in ihrem Kopf und vertrieb Vorsicht, Vernunft, Voraussicht; trieb alles aus ihr hinaus, bis auf den rücksichtslosen Willen zu entkommen. Pausenlos weiter und weiter, hin und wieder würgte sie einen Bissen trockenes Brot hinunter, einen Schluck Wasser, weiter, hinauf, über den Bergpaß namens Tangra Suzan, und Tarnsian blieb verbissen auf ihrer Spur, war wie wahnsinnig hinter ihr her, gab alles, was er zusammengerafft hatte, für diese endlose Verfolgung auf. Über den Tangra Suzan … Sie schwankte vor Müdigkeit… Weiter, hinunter; endlos hinunter, Serpentine wand sich gegen Serpentine, bis ihr Verstand wirbelte und die Furcht aus lauter Verzweiflung wegen ihres notwendigerweise langsamen Fortkommens an ihr fraß. Hinunter und hinunter und hinunter … Drehen und wenden …
    Verzweiflung. Der Tijarat, Treffpunkt der Nomaden und Zigeuner, flach ausgebreitet, trocken, verlassen. Herden und Herdenwächter hätten da sein müssen, farbenprächtige Treckwagen mit farbenprächtigen Zigeunern, die mit allem handelten, was einen -ganz gleich wie mageren - Profit bringen würde. Zu früh. Noch eine Woche. Nur noch eine Woche … Hoffnung starb in ihr. Sie zog den Sattel vom Rücke des schwarzen Hengstes und ließ ihn laufen, damit er seinen zusammengekrampften Magen füllen konnte, dann sank sie in einem hoffnungslosen Kauern nieder und sah dem Flußwasser zu, das an ihren Füßen vorbeifloß.
    Der schwarze Pesthauch kam näher, verdickte sich, breitete einen Schatten des Bösen über ihr aus … Seltsamerweise berührte sie ein Gefühl der Zuneigung. Khateyats starkes, kantiges Gesicht brach durch die stinkende Wolke des Schreckens, trieb sie mit dem Hammer ihrer ruhigen Vernunft zurück.
    Sehnige, rotbraune Hände reichten ihr einen dunklen Beutel, dessen mattes Schwarz das Licht ringsum aufzusaugen schien. Und aus dieser Tasche schüttete Khateyat die schimmernde Schönheit in ihre

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