Lamarchos
stirbt.”
„Tot sein ist nie besser als leben!” Sie fuhr herum.
„Nein!” Er fing ihren Arm in einem quetschenden Griff. „Er ist ein Paria. Laß ihn.”
„Mein Gott - das meinst du ernst!” Sie schlug nach seiner Hand.
„Laß mich los!”
„Nein. Bleib weg von ihm. Wenn du ihn berührst, sind wir alle Parias. Verstehst du mich?” Seine Finger zogen sich noch fester zusammen, bis sie vor Schmerz keuchte. Zorn explodierte in ihr.
„Nimm deine Hand von mir.” Ihre Augen funkelten. „Sofort.”
Die Karkesh-Klinge sauste aus der Scheide. „Treib die Pferde an”, sagte er scharf.
„Kale, ich habe dir gesagt…”
„Fahr los!”
„Kae.” Stavver stand leger, lässig auf Aleytys’ Seite des Treckwagens und sah kühl zu ihnen herauf.
Kale blickte kurz auf. „Halte dich da raus, Dieb.”
„Ich warne dich, Bodenkriecher. Nimm deine Hand besser weg.”
„Aha.” Der Hohn lag schwer auf Kales Gesicht. „Du willst mich erledigen?”
„Ich?” Stavver zuckte mit den Schultern, amüsierte Geringschätzung auf seinem hageren Gesicht. „Ich gebe keinen Pfifferling dafür, wie du dich zugrunde richtest, aber Maissa glaubt wohl, daß wir dich noch brauchen. Laß Aleytys los, oder sie bringt dich um. Ich habe sie arbeiten sehen, kleiner Mann.”
Kaie schnaubte seinen Unglauben hinaus. Er wandte sich Aleytys zu, berührte mit der Messerspitze ihre Kehle, dann zog er sie zwischen ihre Brüste hinunter; er führte sie so geschickt, daß er die Haut nicht einmal ritzte. „Fahr los!”
Ein hauchzartes Klimpern durchbrach die angespannte Stille. Wieder fühlte Aleytys die Luft um ihr Gesicht erstarren, der einzelne, vorherrschende Ton glitt Oktaven tiefer, bis es ein verzerrtes Vibrieren knapp über der Hörschwelle war. Wieder war sie in ihrem Schädel gefangen, das Diadem übernahm ihren Körper, entsetzt duckte sich Aleytys zusammen und flüsterte lautlose Bitten - nein, töte ihn nicht, es ist nicht nötig, kein Morden mehr, bitte, bitte …
Ihre Hände flatterten hoch und pflückten das Messer aus Kales Hand. Die blasse, konturenlose Landschaft huschte an ihren Augen vorbei, dann sah sie, wie das Messer losgelassen wurde und dicht vor Stavvers Augen in der Luft schwebte. Die Grashügel zuckten wieder vorbei, und sie sah Kale an. Die Hände packten zu und stießen ihn zurück.
Langsam … langsam … schmerzlich langsam, wie ein durch Gelatine fallender Stein, stürzte Kaie vom Sitz und sank zu Boden.
Das Diadem wartete, Aleytys wartete. Eine Ewigkeit verging und verging weiter, und zu guter Letzt berührte Kales steifer Körper den Boden. Seine Arme und Beine entfalteten sich langsam, langsam, wie in einer Zeitlupenfolge, bis er wie ein Stern auf dem Boden ausgebreitet lag. Aleytys flüsterte: „Danke, danke, wer immer ihr auch seid, o Gott, ich könnte kein Morden mehr ertragen …”
Das Diadem klimperte wieder. Als der Laut in den normalen Bereich hinaufglitt, glaubte Aleytys bernsteinfarbene, weit geöffnete Augen zu sehen, die ihr zulächelten, dann vergaß sie es; Kale sprang auf die Füße, sein Gesicht war vor Entsetzen verzerrt.
„Kale!” Sie stand auf, fauchte: „Kale!”
Intelligenz strömte zurück, ersetzte die animalische Furcht. Mit einer zitternden Hand rieb er sich über das Gesicht und richtete sich langsam auf.
„Stavver hat dich gewarnt. Ich hätte dich umbringen können. Bring mich nie wieder in Versuchung.”
„Si’a Gikena”, sagte er, und seine Stimme war rauh vor Aufrichtigkeit. „Glaube mir, ich werde es nicht tun.” Unbehaglich blickte er über die Schulter zu dem Körper hin. „Aber …” Nach einem kurzen Zögern fuhr er beharrlich fort: „Es ist der Körper eines Parias. So wie alle, die mit ihm sprechen, ihn füttern, ihm auf irgendeine Weise helfen. Selbst eine Berührung… Verstehst du? Wenn du ihm zu helfen versuchst - und ich schwöre, daß es dazu wahrscheinlich bereits zu spät ist -, können wir genausogut zum Schiff zurückkehren und verschwinden.”
„Schwester.” Die schrille Piepsstimme erschreckte sie alle. „Nimm den Fluchtweg. Du bist Gikena.” Der Sprecher war aus dem Wohnwagen gekrochen und hockte unsicher auf der Lehne des Kutschbocks.
„Heile den Jungen und gib ihn seinem Volk zurück. Dies ist deine erste Aufgabe für die Lakoe-heai.”
„So sei es”, sagte Aleytys ruhig. Sie richtete einen kühlen Blick auf Kale. „Hast du es gehört?”
Kale sah verblüfft drein. „Ich hatte es vergessen, Frau. Ich hatte
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