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Land der Erinnerung

Land der Erinnerung

Titel: Land der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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weiblicher Glut, weiblichem Widerstand, weiblicher Hingabe. Sie waren Höfe der Liebe und Schauplätze der Kühnheit; alle Dualitäten modulierten durch ihre PfeIler und Gewölbe. Die Blumen, Tiere, Vögel, Künste, Geheimnisse: alles war durchdrungen von der Vermählung des männlichen und des weiblichen Prinzips. Es ist nicht verwunderlich, daß ein so herrlich weibliches Land, la belle France , zu gleicher Zeit ein Land ist, in dem der Geist, der männlich ist, die üppigsten Blüten getragen hat. Wenn es eines Beweises bedürfte, dann ist Frankreich der lebende Beweis dafür, daß beide Hälften der Psyche harmonisch entwickelt sein müssen, damit der Geist sich entfalten kann. Die rationale Seite des französischen esprit (von Ausländern immer überschätzt) ist ein sekundäres Merkmal und ein oft entstelltes dazu. Frankreich ist seinem Wesen nach beweglich, schöpferisch, veränderlich und intuitiv. Diese Eigenschaften sind nicht ausschließlich weiblich oder männlich; sie sind Merkmale der Reife, spiegeln Ausgeglichenheit und Ganzheit. Der Sinn für Gleichgewicht, den die Welt an den Franzosen so bewundert, ist das Ergebnis inneren, geistigen Wachstums, beständigen Nachsinnens über und der Hingabe an das Menschliche. Nirgends in der westlichen Welt wird der Mensch als Geschöpf und Wesen so groß, so umfassend, so verheißungsvoll sichtbar. Aber nirgends sonst in der westlichen Welt wird das Geistige im Menschen auch so voll anerkannt und so großzügig gefördert. Diese Erhöhung des Menschen als Mensch, des Menschen als Herr seines Schicksals, ist der eigentliche Quell von Frankreichs revolutionärem Geist. Ihr verdanken wir jenen starken Wirklichkeitssinn, dem wir in diesem Land immer wieder begegnen. Sie ist es, die dieses Volk in Niederlagen adelt und in der Krise unberechenbar macht. Der Mut und die Kraft der Franzosen werden am besten immer von einzelnen zum Ausdruck gebracht. Die Nation als Ganzes mag vor die Hunde gehen, der einzelne niemals. Solange noch ein Franzose lebt, wird das ganze Frankreich sichtbar und erkennbar bleiben. Es mag unwichtig sein, was für eine Stellung es als Weltmacht einnimmt; wichtig ist nur, daß dieses geist-molekulare Produkt, das unter dem Namen ‹Franzose› bekannt ist, nicht untergeht.
    Ich mache mir nie Sorgen um Frankreich. Das wäre, als wollte man sich um die Erde Sorgen machen. Was französisch ist, ist unvergänglich. Frankreich ist über sein körperliches Sein hinausgewachsen. Nicht erst seit kurzem, als Folge von Niederlage und Demütigung, oder weil es von einer wichtigen zu einer weniger wichtigen Macht geworden ist. Jenes Über-sich-Hinauswachsen begann mit dem Tage, an dem Frankreich geboren wurde, als es sich sozusagen bewußt wurde, daß es der Welt etwas zu geben hatte. Fremde machen bei der Beurteilung Frankreichs oft den Fehler, daß sie den Geist der Erhaltung mit Geiz und Knauserei verwechseln. Die Franzosen sind nicht verschwenderisch mit ihrem materiellen Besitz; sie geben nicht gern von dem, was den Leib ernährt. Sie geben die Früchte ihrer Schöpfung, und das ist viel wichtiger. Die Quelle hüten sie eifersüchtig. Das ist Weisheit, die Weisheit eines Volkes, das die Erde liebt und sich mit ihr identifiziert. Amerikaner sind das genaue Gegenteil. Sie sind großzügig mit dem, was ihnen nicht gehört, mit Reichtümern, die sie nicht erarbeitet haben. Sie beuten die Erde und ihre Mitmenschen aus. Sie würden das Paradies plündern, wenn sie nur wüßten, wie. An der Quelle verarmt, trägt ihre Freigebigkeit keine Früchte. Der Franzose schützt das Gefäß seines Geistes; dadurch erscheint er den Leichtlebigen hart und ichbezogen. Dabei handelt es sich nur um die Geschichte von den klugen und törichten Jungfrauen. Sollte einmal Wirklichkeit werden, was heute eine Drohung scheint, dann werden wir uns um Unterhalt und Inspiration an die Franzosen wenden müssen, vorausgesetzt natürlich, daß die Franzosen selbst nicht auch dem modernen Geist erliegen, was ich aber bezweifeln möchte. Vor beinahe vierzig Jahren wies Péguy auf die Gefahr hin: «die moderne welt vernichtet die würde!» rief er. «Das ist ihre Besonderheit. Ich möchte beinahe sagen, ihre Berufung, wenn das schöne Wort nicht über alles zu achten wäre.» Immer und immer wieder kommt er auf dieses Motiv zurück. Er erklärt, wie und warum es so ist. Und dann faßt er es in einem Abschnitt endgültig zusammen und bricht den Stab über dieser Welt, die sich seit seinen Tagen

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