Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
Führerschein war erste Sahne, weil echt. Ihre Geburtsurkunde und ihre Highschool-Unterlagen hätten einer flüchtigen Überprüfung standgehalten, aber wenn er tiefer bohrte, würde er mit einiger Sicherheit auf Öl stoßen. Und ihre Fingerabdrücke hätten ihn zu ihrem Vorstrafenregister in zwei Bundesstaaten geführt.
Audrey achtete darauf, dass ihr das Lächeln nicht aus dem Gesicht fiel. »Ich kann nichts für meine großen Augen.«
Dominic seufzte erneut. »Mein Angebot: Um Geld zu sparen, beschäftige ich Selbstständige. Meine Festangestellten haben Erfahrung und sind gut ausgebildet, was bedeutet, dass ich sie für ihre Zeit anständig entlohnen muss. Solange es nicht um einen Haufen Geld geht, kann ich es mir nicht leisten, sie monatelang auf einen allzu zähen Verdächtigen anzusetzen. Ich gebe ihnen pro Fall vier Wochen. Danach muss ich Fälle wie diesen an Selbstständige wie Sie outsourcen, weil ich die pro Auftrag bezahlen kann. Freiberufler brauchen im Schnitt ein paar Monate für einen Fall. Für die meisten ein willkommener Nebenverdienst.«
Was er ihr da erzählte, wusste sie längst. Also nickte sie nur.
»Sie arbeiten jetzt seit fünf Monaten frei für mich. Sie haben vierzehn Fälle gelöst. Alle zwei Wochen einen. Verdient haben sie zwanzigtausend.« Dominic fixierte sie, ohne zu zwinkern. »Ich kann’s mir nicht leisten, Sie weiter frei zu beschäftigen.«
Was ? »Sie haben durch mich Geld verdient!«
Er hob eine Hand. »Sie sind zu teuer, Audrey. Unsere berufliche Verbindung hat nur Zukunft, wenn Sie Vollzeit für mich arbeiten.«
Sie blinzelte.
»Für den Anfang zahle ich Ihnen dreißigtausend im Jahr plus Sozialleistungen. Hier ist der Papierkram.« Dominic gab ihr einen braunen Umschlag. »Wenn Sie einschlagen, sehen wir uns am Montag.«
»Ich überleg’s mir.«
»Tun Sie das.«
Audrey schnappte sich ihre Akte. Ihr Gaunerinstinkt riet ihr, cool zu bleiben, andererseits würde sie so niemanden mehr bescheißen müssen. Jedenfalls niemanden, der sie anheuerte. »Danke. Vielen herzlichen Dank. Das ist echt der Hammer für mich.«
»Jeder hat ’ne Chance verdient, Audrey. Sie verdienen Ihre. Wir freuen uns drauf, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.« Dominic streckte ihr über den Schreibtisch die Hand hin, sie schüttelte sie und verließ sein Büro.
Ein richtiger Job. Samt Sozialleistungen. Heilige Scheiße.
Sie nahm die Treppe, lief, um sich abzureagieren, die Stufen hinunter. Mit einem richtigen Job würde sie zu den Guten gehören. Wie geil war das denn?
Wenn ihre Eltern das erfuhren, würden sie glatt ausflippen.
Audrey verließ Olympia auf der Rough Ocean Road. Ihr blauer Honda brauste durch den grauen Nieselregen, der ohne Unterbrechung die Westside von Cascades wässerte. Eine dichte Wolkendecke hing am Himmel und verdüsterte den frühen Abend. Bäume flankierten die Straße: majestätische Douglastannen mit smaragdgrünen Nadeln, hohe, schlanke schwarze Pyramidenpappeln, die mit ihren langen Ästen den Regen auffingen, rote Erlen mit silbergrauer Borke, die in der Dämmerung beinahe leuchteten.
Anderthalb Meilen in Fahrtrichtung erwartete sie eine an die Hügel geschmiegte einsame Trabantenstadt identischer Häuser; bis dahin teilte sie sich die Straße mit niemandem. Nur mit den Bäumen.
Audrey sah auf die Uhr. Bis jetzt zweiunddreißig Minuten – die Zeit, die sie an einem Lebensmittelladen angehalten hatte, um Teriyaki Jerky für Ling zu besorgen, und die Zeit, die sie benötigt hatte, um verschiedene Apotheken anzusteuern, nicht mitgerechnet. Eine Arbeit würde eine Umstellung für sie bedeuten.
Sie arbeitete gerne für Milanos Privatdetektei. Sie liebte jede Minute, die langen, heimlichen Beschattungen im Auto genauso wie die Gelegenheit, Schwindler zu betrügen, die sich für gerissen hielten. Und keinen Schimmer hatten, was gerissen bedeutete.
Der Fairness halber musste sie einräumen, dass die allermeisten Schwindler nur betrogen, weil sich ihnen die Gelegenheit dazu bot. Sie hatten einen Arbeitsunfall und fanden Gefallen an ihrer Arbeitsunfähigkeit. Oder sie ließen sich auf ein Techtelmechtel ein und hatten zu viel Schiss oder waren schlicht zu arrogant, ihren Ehegatten davon zu erzählen. Sie hielten sich gar nicht mal für richtige Schwindler. Sie sahen nur Notlügen, den Weg des geringsten Widerstands. Die meisten betrogen wie Amateure. Während Audrey betrog, seit sie sprechen konnte. Ein ungleicher Kampf, aber das Wort »fair« hatte in der Welt der
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