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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
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ihn nicht zu stören scheint, am liebsten kann er alles besser, aber zu »alles« gehört heute Stricken nicht dazu. Wir gönnen ihm die Niederlage, die ebenfalls keine ist, denn am besten kann er heute scheitern, und lachen kann er auch gut und laut und so laut, dass wir fast nicht hören, dass es klopft.
    Wir sind so vertieft ins Maschen-nicht-fallen-Lassen, ins Maschen-aus-Maschen-Erzeugen, ins Zunge-zwischen-die-Zähne-Klemmen, dass uns Besuch egal ist. Es stört nicht, dass Herr und Frau Dorflehrer wieder einmal in unser Wohnzimmer kommen, dass sie es »Werkstatt« nennen oder »Fabrik«, dass sie fragen, was das wird, wenn das fertig ist, dass sie sich und uns eingestehen, dass sie auch nicht stricken können, dass sie sich von unserer Meisterin Stricknadeln geben lassen, dass sie sich ebenfalls unterweisen lassen wollen. Dass der Dorflehrer nicht stricken kann, finden die Kleineren von uns großartig, auch der Lehrer ist ein professioneller Besserwisser, auch ihm soll einmal eine Lektion erteilt werden. Er klemmt den Faden zwischen Ring- und kleinen Finger, wickelt ihn um den Zeigefinger, lässt sich zeigen, wie er Maschen herstellt und weiterverarbeitet zu noch mehr Maschen und zu etwas, das nie etwas wird. Hier wird Können erzeugt und keine Ware. Wir freuen uns, dass er sich dumm anstellt, und fragen uns gleichzeitig, wie es sein kann, dass auch die Dorflehrersfrau nicht stricken kann. Muss eine Kindergärtnerin das nicht können? Sie kann es noch ungefähr, erinnert sich noch dunkel, lässt sich einiges zeigen und strickt bald die zweitschönsten Maschen. Sie lacht und sie konzentriert sich, sie fragt, was man mit der ersten Masche machen muss, was mit der letzten: »Bloß abheben oder mitstricken?« Sie lässt sich bald Linksstricken zeigen, strickt bald ein rechtes Stück schneller als Klein und Groß, lacht ebenfalls, aber nicht über ihr Unvermögen, sondern über ihr Geschick, über ihre Freude, über das Stricken an sich, darüber, dass man sich an längst Vergessengeglaubtes so einfach erinnert. Bald wird der Abend lang, bald wird es spät, bald werden junge Stricker schlafen geschickt, bald fragen junge Stricker, ob sie ihre Arbeit ins Bett mitnehmen dürfen.
    Sie dürfen morgen weiterstricken, versichern wir ihnen und stricken dann weiter. Erst zu viert, eine routiniert, die andere enthusiastisch, einer sticht mit plötzlichem Ehrgeiz in etwas herum, was nur er »Mütze« nennt, der Dorflehrer tauft seine eigene Arbeit »verlorene Liebesmüh« und stochert nur aus Gruppendruck weiter.
    Heute sprechen wir nicht über Sorgen, denn heute haben wir keine. Wir haben auch fast vergessen, die obligatorische Dorflehrerweinflasche zu entkorken, so entzückt sind wir von der neuen Beschäftigung, der Mützenmacher schaut verschmitzt und erzählt von Manufakturplänen, der Stocherer spinnt den Faden weiter, verliert dabei Masche um Masche, während die Wiederbekehrte nach Wolle fragt, nach Nadeldicken, nach Sockenstrickanleitungen. Die Königin in den Disziplinen, die Rechts-, Links-, Rund- und Fersenstricken heißen, lächelt gutmütig, teilt großmütig ihr Wissen, wühlt im Strickkorb, sucht, findet und schenkt Nadeln und Anfängerwolle.
    Die Beschenkte träumt von Schals, Mützen, Handschuhen, Socken, Pullovern für andere und vor allem für sich. Sie kennt die Winter auf dem Dorf, immer hat sie zu kämpfen mit der Kälte, gegen die sie nicht ankommt, weil ein Teil davon von innen kommt. Ihre Wunschfantasien sind dicke Strickjacken, denn seit jeher finden ihre Albträume am Südpol statt: Schlittenhunde reißen sich von den Leinen, greifen an, zerren an der Polarjacke, zerren die Polarmütze vom Kopf, halbnackt steht sie im Schneegestöber, wird blau, wird lila, gefriert, erfriert. Aus diesen Träumen wacht sie schweißgebadet auf, aber auch der Schweiß ist kalt, obwohl sie nachts einen gefütterten Pyjama trägt, sie weiß, sie müsste erfrieren, wenn sie es nicht täte, weiß, dass sie auch so erfrieren wird. Dass sie eines Tages durch das dünne Eis der Kunsteisbahn brechen, dass ein plötzlicher Wintereinbruch dem sommerlichen Badevergnügen ein jähes Ende bereiten wird. Also hat sie immer eine Zweitjacke dabei, Wollsocken wenn möglich. Also bleibt sie im Winter zu Hause, spart das Geld für die Kunsteisbahn und investiert in Heizkosten. Wenn sie stirbt, will sie auf jeden Fall eingeäschert werden.
    Aber jetzt weiß sie, dass sie nicht sterben muss, weiß, dass sie endlich ein Hobby gefunden hat,

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