Land Spielen
könnte. Früher war das einfacher, da war er nicht überflüssig im großen Bett, da krümmte sie sich zu einem kleinen Paket, er hielt sie von hinten umarmt, meist weinte sie und meist sagte er: »Alles wird gut.«
*
An Sonntagen schlafen wir aus. Oder wenn Schnee liegt, stehen ein paar von uns am Sonntag früh auf, von keinem Wecker, aber vom Drang geweckt, Schneeburgen zu bauen und Rodelstrecken, sich noch mit Bettwärme in den Schnee fallen zu lassen und mit Armen und Beinen zu rudern, bis da unter einem ein Engel liegt. Die Älteren von uns hören das Geschrei der Jüngeren und bleiben liegen, es ist kalt in den Schlafzimmern, es ist Sonntag, da kann man ausschlafen. »Ihr könntet ruhig schon mal den Ofen heizen, wenn ihr so früh aufsteht«, haben die Älteren den Jüngeren gesagt. Ralf erinnert die anderen daran, dass man auch die Schafe füttern sollte. Er weiß, dass auch sie Hunger haben, weiß, dass er seine Pflicht getan hat, wenn er sich und die anderen erinnert, dann müssen die anderen beiden auch etwas machen, dann müssen sie das Füttern übernehmen, weil er das Drandenken übernommen hat. Aber lieber werfen wir Schneebälle an den Sonntagen oder wir spielen im Flur oder im Wohnzimmer, spielen wild und lassen unsere Ältesten dennoch in Ruhe. Im kleinen Haus herrscht großes Geschrei, viel Lachen und manchmal unterdrücktes Stöhnen. Am Sonntag kann Ausschlafen vieles heißen.
Der Sonntagmorgen wird zum Vormittag, wird zum Mittag, in die Kirche gehen wir nie, wir glauben nicht an die Kirche, glauben nur an Schneeengel oder an Marx-Engels, glauben nicht, dass wir in unserer freien Zeit auf harten Holzbänken sitzen müssen, nur damit uns von noch unbequemeren Stellungen erzählt wird, in die sich Menschen bringen lassen, wenn sie in Wirklichkeit gar keine Menschen sind. Ralf, der gerne täte, was alle tun, ist der Einzige, der manchmal fragt, ob man nicht manchmal trotzdem hingehen sollte. Wenn man Pausenhofgesprächen Glauben schenken darf, soll es in der Kirche nicht schön sein, aber es scheint, als müsse man sie hinnehmen als unausweichliches Übel. Ralf versteht nicht, warum wir uns davor drücken können, versteht nicht, warum die anderen nicht.
Den Pfarrer lernen wir dennoch kennen, spät und zufällig, er wohnt ein Dorf weiter, hat drei Gemeinden in seiner Verantwortung. Eine Kirche hat hier jeder Fleck, aber einen eigenen Pfarrer kann man sich nicht leisten. Der Pfarrer hat ein schwarzes Auto, fährt sonntags vor, hält seine Predigten kurz, drückt am Ausgang alle nötigen Hände und fährt dann ein Dorf weiter. Die Dörfer liegen nicht so dicht gedrängt wie seine Wochenendtermine, also drückt der Pfarrer gerne aufs Gas. Geschwindigkeitskontrollen gibt es hier so selten wie schnelle Autos, und ansonsten würde die Polizei ein Auge zudrücken: Schnell fahren ist in Gottes Namen keine Sünde.
Unter der Woche hat der Pfarrer mehr Zeit. Wo nicht viele Leute sind, gibt es auch nicht viele Beerdigungen. Im Altersheim ist er ab und an, um den alten Menschen Märchen zu erzählen, die sie gerne glauben wollen, also haben gewisse von uns den Pfarrer schon mal gesehen. Von weitem zumindest. Und als wir ihm im Fünferpack über den Weg laufen, ein chorisches »Guten Tag« anstimmen wollen, bleibt der Pfarrer stehen, sagt, er habe gewisse von uns doch schon einmal gesehen. Er schenkt Vera einen musternden Blick. Wir strecken dem Pfarrer Hände hin, stellen uns vor: Vera, Moritz, Ralf, Fabian, Ada. Er schüttelt Hände, nennt auch seinen Namen.
Rudolf heißt er, wir staunen nicht, denn hier heißen alle so. Alle außer die Frauen, diese heißen Erika. Es ist für den Steinmetz ein Leichtes, immer den richtigen Grabstein auf Lager zu haben, nur die Jahreszahlen muss er noch einmeißeln, denn auch die Nachnamen sind rar in dieser Gegend.
Der Pfarrer lacht über unsere Ausführungen, sagt: »Wenn ihr den Friedhof wirklich einmal angeschaut hättet, wüsstet ihr, was für einen Blödsinn ihr verzapft.« Er lacht auch über diesen Satz, fügt hinzu: »Aber gut erfunden ist bloß halb gelogen.«
»Schön, dass gerade Sie das sagen, Herr Pfarrer«, stichelt Moritz, doch so viel ist klar, der Pfarrer mag von den falschen Dingen überzeugt sein, aber wir mögen ihn trotzdem, würden ihn gerne einladen zum Abendessen, würden mit ihm ein Bier trinken gehen, würden hier gerne Freundschaften schließen.
»Kommt doch am Sonntag einmal in die Kirche«, sagt Pfarrer Rudolf, die Sonntagsausschlafer
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