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Land Spielen

Land Spielen

Titel: Land Spielen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Mezger
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das ihr entspricht. Sie wird gleich morgen eigene Wolle kaufen, eigene Nadeln, hat einige Ideen. Während wir schon längst Wein trinken, während der Liebesmüheverlierer und der Pläneschmieder längst entspannt nicht nur Maschen fallen gelassen, sondern auch die Nadeln beiseite gelegt haben, während sie über Kinderarbeit erst witzeln, dann sprechen, dann dozieren, während der Wein seine Wirkung tut, das Gespräch an Lautstärke gewinnt, während das Nadelklappern unserer Schweigerin längst übertönt ist, strahlt die Stricknovizin, ruft immer wieder aus, wie schön dieses Handwerk sei, lacht, als wir über sie lachen, und meint es dennoch ernst. Wir freuen uns für sie, wir freuen uns, als sie sagt, wie sehr sie das Stricken entspanne, wir freuen uns, dass sie glücklich ist, freuen uns, dass sie endlich eine Bestimmung gefunden hat. Etwas Bestimmtes, das sie bestimmt noch lange und oft erfreuen wird.
    *
    Christine hört nicht mehr auf zu stricken. Erst fährt sie fort mit dem angefangenen Schal, der ihr bald langweilig wird, zu dick ist die Wolle gewählt, zu amateurhaft diese blauen, gleichbleibenden rechten Maschen. Sie braucht größere Herausforderungen, hat neue Pläne, hat im Nachbardorf Wolle eingekauft, es stapeln sich Knäuel und Strickprojekte auf dem Ecksofa in der Lehrerwohnung über dem Schulzimmer. Sie zeigt uns die Farbkombinationen, wir lachen, lassen uns anstecken von der Angesteckten, möchten selbst mitstricken, diskutieren mit ihr, welche Wollsorte sich für welches Kleidungsstück eignet: »Diese hier für Schals, die für Mützen, für Socken immer jene und bei der Ferse damit verstärken.« Bis zu den Fersen ist sie noch nicht gekommen, Vera hat ihr erst das Rundstricken beigebracht.
    Christine klappert nun mit fünf Nadeln gleichzeitig, sitzt da und hört Radio. Sie strickt und ist glücklich und lacht über sich, dass es so wenig braucht für das Glück. Muss ihr Mann, der Dorflehrer, in der Pause keine Rangeleien schlichten, kommt er kurz nach oben, er schmunzelt über seine Frau auf dem Ecksofa, er ist froh, dass die Tage vorbei sind, wo sie da mit diesem leeren Blick saß. Dass die Wochen und Monate des Heulens ein Ende gefunden haben. Dass sie zwar nicht rausgeht, aber endlich etwas gefunden hat, das sie begeistert. »Ich bin so begeistert, stricken tut so gut«, sagt die Dorflehrersfrau, der Dorflehrer küsst sie, sie küsst ihn flüchtig zurück, will keine Masche verlieren, braucht noch alle Konzentration, um sich nicht zu verheddern oder zu verzählen. Der Dorflehrer geht wieder nach unten, sammelt seine Schulkinder wieder ein, sie versammeln sich wieder, um zu lernen, wie sich Klee in Milch verwandelt, sind froh um die Pause von der Pause, in der ja doch bloß gelernt wird, wie aus Schlägen blaue Flecken werden.
    Christine versucht sich unsere Arbeitszeiten zu merken, die Schichten im Altersheim sind unregelmäßig, aber der Trick ist einfach: Man muss das rote Mofa abpassen. Steht es vor der Scheune, ist auch Vera zu Hause und man kann sich zu ihr ins Wohnzimmer setzen, kann sich erklären lassen, wie das noch mal war mit den drei Teilen der Ferse.
    Die Strickmeisterin erklärt ruhig, freut sich, dass sie gefragt wird, muss das Strickzeug selbst in die Hand nehmen, um die Fragen nachvollziehen zu können und die Antworten zu finden. Die Stricksüchtige schreibt mit einem Bleistift auf einen Zettel: »Mit nur zwei Nadeln weiterstricken, ungefähr sechzehn Reihen, dann abnehmen, die Ränder miteinbeziehen, überhaupt die Ränder, da kommen diese seltsamen Maschen hin.« Sie schreibt und versteht nicht. Aber zu Hause liest sie geduldig, strickt den Zeilen nach und staunt, als sich die Form abzuzeichnen beginnt, dass all diese Dreiecke und Zusammenstrickungen Sinn und langsam auch eine Ferse ergeben.
    Stolz hält sie ihr Werk ihrem Mann hin, der noch keinen Feierabend, sondern Prüfungsbogen zu korrigieren hat.
    Noch abends im Bett strickt Christine weiter, das entspanne sie viel mehr als Lesen, sagt sie ihrem lesenden Bettgenossen, der es nicht so genießen kann wie sie. Das Klappern nervt ihn, das Blättern in ihren Aufzeichnungen und dass man sich nicht rüberbeugen kann zu ihr, um sie zu küssen oder sie zumindest im Arm zu halten. Immer stechen die Nadeln, immer braucht sie Ellbogenfreiheit. Sie klemmt die Zunge zwischen die Zähne und will nicht bemerken, dass er sein Buch längst weggelegt hat. Sie sitzt aufrecht, während er eine Stelle sucht, wo er seinen Kopf ablegen

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