Landgericht
Revolution, in dem er seine Enttäuschung, so gut es ging, mit wissenschaftlicher Abstraktion zügelte. Nach vier Jahren zog er nach Köln weiter, wo er die Lateinamerika-Redaktion der Deutschen Welle übernahm. Es zählte nicht mehr, ob dies eine weitere Station seiner Emigration war oder eine Heimkehr.
Amanda war eine bessere Briefschreiberin als Charidad. Und wie beschäftigt sie war, Auftrittsmöglichkeiten ausfindig zu machen, Kontakte zu knüpfen und Lieder zu schreiben. Sie schickte ihrem Vater Texte und Noten, die er nicht lesen konnte; dann schließlich eine Schallplatte und ein paar gute Kritiken dazu. Er las von der Sängerin mit den kubanisch-deutschen Wurzeln, und es war ihm, als läse er über eine gänzlich fremde Künstlerin, und dann war er stolz auf sie und schrieb zurück: Wohnst du auch gut? Und: Ist dein Zimmer warm? Du darfst dich nicht erkälten. Und hältst du deine Stimmbänder warm? Mütterliche Fragen, mütterliche Ermahnungen. Und er fügte einen Scheck hinzu. Sie dankte ihm postwendend. Nein, Geld brauche sie nicht. Sie singe, sie habe eine
Gage
. (Das Wort schrieb sie groß, als wäre es ein Zauberwort. Und malte ein kindliches Herz unter ihren in Eile geschriebenen Brief.)
1970 bot die Oberfinanzdirektion Berlin Kornitzer
in gütlicher Einigung
, wie sie selbst befand,
ohne Anerkennung der Rechtspflicht einen Schadensersatz von 3.000 DM an
.
Ich weise darauf hin
, schrieb der Bearbeiter seines Falles,
daß auch nach den eigenen Angaben der inzwischen verstorbenen Antragstellerin nicht festzustellen ist, ob es sich um eine amtliche Beschlagnahme oder um eine reine Plünderung gehandelt hat und daß zum Umfang des Verlustes nur summarische Wertangaben ohne eingehende Beschreibung der verloren gegangenen Gegenstände vorliegen
.
Verloren gegangen? Wird vage vorausgesetzt, daß Claire unachtsam war? Daß sie kopflos das Armband hat offen liegen lassen, als die Gestapo in ihre Wohnung eindrang, vielleicht weil sie Kompromittierendes hatte verschwinden lassen? Auch der Krieg war ja angeblich verloren gegangen, aber niemand hatte ihn gefunden. Kornitzer schreibt unverzüglich an die Oberfinanzdirektion zurück, und das soll wirklich der letzte Brief sein, er will nicht mehr, er kann nicht mehr: „Trotz einiger Bedenken bes. bezüglich der Höhe der Erstattung nehme ich zur endlichen Bereinigung dieser Sache den Vorschlag hiermit an. Danach werden mir wegen des Verlustes von Schmucksachen und einer Schreibmaschine der Geschädigten, meiner seligen Ehefrau Claire Kornitzer, geb. Pahl, zum Ausgleich aller Ansprüche 3.000 DM Schadensersatz geleistet. Ich erkläre, daß damit alle irrtümlich im Entschädigungsverfahren angemeldeten Rückerstattungsansprüche nach der Geschädigten erledigt sind. Doppel anbei und gleichzeitig direkt an die Wiedergutmachungsämter.“
Das Urteil ist gesprochen worden. Er hat das Urteil angenommen. Er muß den Brief ein zweites Mal schreiben, Nässe ist auf das Papier getropft, hat seine Unterschrift verwischt, offenbar Nässe jenseits der Brillenränder. Sie hat sich am Kinn gesammelt; es wäre ein Leichtes gewesen, sie wegzuwischen, aber er hat sie nicht bemerkt. Es wäre ein Leichtes nach so viel Schwerem, den Brief noch einmal abzuschreiben. Aber er tut es nicht, er ist erschöpft. Morgen ist auch noch ein Tag.
Rätsel
Im Sommer 1974 erreichte George Kornitzer ein Brief, der ihn vollkommen überraschte. Der Briefkopf war: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. (Wie hatte der Brief ihn gefunden? Auf welchen Umwegen? Wer hatte recherchiert?) Eine Mitarbeiterin schrieb ihm, daß die Redaktion beabsichtige, seinen Vater, Dr. Richard Kornitzer, in dieses enzyklopädische Handbuch aufzunehmen. Und sie bat den Sohn höflich, die Lebensdaten, die die Redaktion gesammelt hatte, zu bestätigen und – wo nötig – zu korrigieren und zu ergänzen. Dürre Daten, in denen aber etwas aufblitzte von dem, was Kornitzer ausgemacht hatte. Es könnte George stolz machen, daß sein Vater nicht vergessen ist. Und Richard Kornitzer, der 1970 gestorben war, wäre in Zukunft auffindbar unter Wissenschaftlern, Künstlern, Gelehrten und Politikern in der langen ehrenvollen Reihe der aus dem Land Gejagten.
George Kornitzer ließ den Brief einige Zeit liegen, etwas bedrückte ihn, aber er wollte sich keine Rechenschaft darüber ablegen, was es war. Antworte, antworte doch, flehte seine Frau ihn an. Das ist doch großartig. Und sie las die Stationen
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