Landgericht
a Messiah who came to save Cuba from corruption and violence
. Das war ein großes Thema, zu dem er am liebsten Boris Goldenberg befragt und der mit seinem schönen russischen Bass in Máximos Hof „Nun ja, nun ja.“ gesagt hätte. Aber Kornitzer las auch eine Rede von Castro vom Dezember 1960, die auf die institutionelle Gewalt und die Rechtsprechung zielte. Die Rede war ein Peitschenhieb. Man mußte sich nach der Lektüre fragen: Was sollte überhaupt noch eine Rechtsprechung in Kuba? Kornitzer versuchte, Kontakt mit Rodolfo Santiesteban Cino aufzunehmen, aber als das nicht gelang, grübelte er darüber nach, ob sein Arbeitgeber nicht längst das Land verlassen hatte. Wie sehr sich Kornitzer auch bemühte, der Kontakt zu seinem früheren Arbeitgeber war abgebrochen.
Alle Welt fragt
, so begann diese Rede Castros sehr rhetorisch:
wann wird man endlich die richterliche Gewalt säubern? Womit befaßte sich denn überhaupt die zivile Justiz? Im allgemeinen mit Problemen, die das Volk nichts angingen: mit Hypotheken, Kündigungen, Erbstreitigkeiten, mit Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern, Grundbesitzern, Finanziers. Und heute? Wird etwa eine Kooperative die andere anklagen? Wird man Mieter dazu verurteilen, auszuziehen – wo es doch überhaupt keine Mieter mehr, sondern nur noch Eigentümer gibt? All diese Gerichte und die vielen Richter entbehren heute der Existenzberechtigung
. Das war eine trübe Verführung zur Einfachheit, zumal wenn die vielen neuen Wohnungseigentümer nicht einmal einen Dichtungsring für eine tropfende Wasserleitung kaufen konnten und kein Dachdecker mehr zu bestellen war, wenn nach einem Hurrikan die Dachbalken offen lagen. Alle diese bürgerlichen Zwischenexistenzen, Handwerker, Richter, Lehrer, Gewerbetreibende waren uninteressant, unproduktiv. Sie trugen nichts zum revolutionären Prozeß bei. (Fidel Castro war selbst Anwalt gewesen; er mußte es wissen.) Auf Grund der Castro-Rede vom 19. 12. 1960, so las Kornitzer, traten allein acht Richter des Obersten Gerichts zurück. Am 22. 12. wurde ein neues Gesetz beschlossen, das den Präsidenten ermächtigte, neue Richter zu ernennen und das Gericht zu reorganisieren. Zwei Monate später war auch dieser Prozeß abgeschlossen.
Boris Goldenberg ließ seinem Zorn über die Entwicklung in vielen Aufsätzen freien Lauf. Er hatte als Halbwüchsiger die russische Revolution erlebt, er kannte die Vorboten, die Höhepunkte, die Enttäuschungen, wußte, wie es gekommen war, und warum es den Bach hinunterging, was er ersehnt, wofür er gekämpft hatte. Er war bewundernswürdig, und Kornitzer bewunderte ihn aufrichtig. Ehe er es sich versah, war die Universität von Havanna gleichgeschaltet worden. Die Revolutionäre hatten jede Menge Vorwürfe gegen diese Institution, die von jeher ein Hort aller revolutionären Bewegungen gewesen war. Am 9. Mai 1960 erklärte der neu gegründete Studentenverband unter Major Cubela,
die Autonomie der Universität müsse beseitigt werden, falls sie der Revolution im Wege stehe
. Das war ein deutliches Signal. Die private katholische Universität Villanueva wurde im Frühjahr 1961 verstaatlicht, die große Mehrheit ihrer Professoren war ins Ausland geflohen, auch der Rektor und der stellvertretende Rektor der Universidad Santa Clara. Der Vorsitzende des Studentenrats Porfirio Ramirez war als Aufständischer in den Bergen Zentralkubas gefangen genommen und hingerichtet worden.
Auch in den Gewerkschaften wurde geholzt und aufgeräumt, das Arbeitsministerium bekam das Recht, bei ihnen zu
intervenieren
, das bedeutete: unliebsame Funktionäre abzusetzen. Bei fast allen, die ihres Postens enthoben wurden, handelte es sich um Castro-treue Gewerkschafter, die erst nach den Säuberungen in den ersten Monaten des Jahres 1959 in ihre Funktion gelangt waren. Eine lautstarke offiziöse Propaganda warb für
freiwillige Arbeit
und mehr oder minder
freiwillige Abgaben
zur Anschaffung von Waffen, von Petroleumtankern, von Kühen für die Kooperativen, mit anderen Worten: für Sondersteuern. Und es fiel nicht leicht, sich dieser Pflicht zu entziehen. Was man früher Ausbeutung genannt hatte, war nun Dienst am Volke, und nicht jeder Arbeiter dachte so klassenbewußt, um den entscheidenden Unterschied zu erkennen, schrieb Goldenberg ironisch. Die Minister – mit Castro an der Spitze – betätigten sich vor der Presse und vor Photographen eifrig als sonntägliche Zuckerrohrschneider oder Bauarbeiter. Das kam gut an. Zur
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