Landleben
Ihr leichtes Lächeln,
die feste Gewissheit in ihren klaren grauen Augen – hat-
te seine Erinnerung sie im Nachhinein hinzugefügt, oder
waren sie wirklich da an jenem frischen Morgen? Er war es
nicht mehr gewohnt gewesen, seine Frau anzusehen; der gleiche Schleier war vor sie gesunken, der die Nacktheit
seiner Mutter verborgen hatte. «Ich fahr jetzt los, Baby»,
sagte Phyllis. «Ich bin spät dran, ich muss ja noch einen
Parkplatz finden.» Sie zwang ihm einen feuchten Kuss auf,
einen in die Tiefe gehenden Kuss, der aus ihren Einge-
weiden zu kommen und in seine Eingeweide zu gehen
schien – der schleimige rote Wirrwarr, den wir vor allen
außer vor Chirurgen verstecken. Mit sich selbst zufrieden
und ungewöhnlich entschlossen, trat Phyllis einen Schritt
zurück und wischte geschickt die Anzeichen von Tränen
unter ihren Augen fort. Sie warf einen prüfenden Blick
in ihre Handtasche: Schlüssel, Portemonnaie, Kleenex,
Lippenstift. «Verhalte dich ganz ruhig und mach dir kei-
ne Sorgen», sagte sie zu Owen. «Wir holen dich da raus.
Du brauchst das Haus nicht abzuschließen. Daisy soll drin
bleiben, sie ist in letzter Zeit hinter Autos hergerannt.»
Sie war schon aus der Küche, und er hörte ihre Schritte,
hörte, wie sie von der seitlichen Veranda hinuntertrippelte,
als er sah, dass sie seine Blätter mit den Zahlen auf dem
Tisch hatte liegen lassen. Die Tür des Falcon schlug zu,
der Kies auf der Einfahrt spritzte unter den Reifen weg.
Owen schwindelte bei dem Gedanken, dass sie seine Zu-
kunftsaussichten und seine Probleme mit aus dem Haus
genommen hatte. Der schreckliche metallische seelenlose
Geschmack der Schicksalhaftigkeit, den er zum ersten Mal
geschmeckt hatte, als Floyd ihm an ebendiesem Tisch un-
schuldig die Neuigkeiten aus der Schule überbracht hatte,
schien verdünnt. Sie wird es überstehen. Verhalte du dich ein-
fach ruhig. Die Katzen kamen wieder an und rieben sich
an seinen Knöcheln. Er schob die Papiere auf dem Tisch
anders hin und wollte schon eine kurze Notiz daraufschrei-
ben, fand dann aber, dass ihr beharrliches Vorhandensein genug sagte. Statt gleich das Haus zu verlassen, ging er
durch die Pantry, das Wohnzimmer und in den Flur vorn,
um zu sehen, was Phyllis letzthin, als allein stehende Frau,
an Veränderungen vorgenommen hatte. Er bemerkte nur
sehr wenige – hauptsächlich die dazugekommenen Möbel
und die Lücken in den Bücherregalen, wo sie ihm gestattet
hatte, ein paar Bände mitzunehmen. Er erwog, Finnegans
Wake zu stehlen, verwarf den Gedanken aber. Es wäre eine
Art Flirt, irreführend für sie. Er versuchte sich vorzustellen,
er kehrte zu alldem hier zurück, aber es gelang ihm nicht,
nicht ganz. Häuser, die man einmal verlassen hat, sind da-
nach zu klein, als dass man wieder hinein könnte: ein Trick
der Perspektive. Er verließ das Haus durch die vordere Ein-
gangstür. In Pennsylvania, aber das fiel ihm einen Moment
zu spät ein, bedeutete es Unglück, wenn man durch eine
Tür eintrat und durch eine andere hinausging. Ein schönes
Haus, dachte er, als er draußen war und zurückblickte auf
die holzverkleideten weißen Wände, die mit Schindeln be-
deckten Dachgauben, die schwarzen Fensterläden und die
gewundenen Glyzinienranken; aber er hatte es so lange als
einen Ort des Eingesperrtseins erlebt, eine Schale, in die
er zurückhuschte, nachdem er den häuslichen Schein Lü-
gen gestraft hatte, sodass er den Blick der Fenster, wie den
eines vernachlässigten Haustiers, als Vorwurf empfand.
Er fuhr mit dem Mustang in die Stadt und war früher
bei E-O als gewöhnlich. Er schloss die Tür zum hinteren
Treppenaufgang auf und ging unmittelbar zu seiner Pri-
vatzelle. Er musste nachdenken. Er überlegte, ob er Julia
in Old Lyme anrufen und ihr Phyllis’ neue Stimmung be-
schreiben sollte. Aber nein, das würde sie nur beunruhi-
gen, und ihre Bemühungen, gegen diese neue Entwick-
lung anzukämpfen, schadeten ihm am Ende eher, als dass sie ihm gut taten. Es waren genügend Energieströme am
Werke; die Dinge strebten wie von selbst auf Lösungen
zu, so wie damals, als er seine Brille auf dem taufeuchten
unbebauten Grundstück gefunden hatte oder als er bei
der Entwicklung der Algorithmen für DigitEyes 2.1 ent-
deckte, dass ganz gleich, wie viele 3D-Transformationen
geschachtelt waren, wobei eine von der anderen abzweig-
te, der letzte Koordinierungsraum in Begriffen des ersten
spezifiziert werden konnte, wozu nur ein Distanzvektor
und drei
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