Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
Laubs, das der
Regen der vergangenen Nacht von den Bäumen gerissen        hatte. Das sich kreisende Blaulicht mehrerer Polizeiwagen
war weit vor ihnen zu sehen; ein junger Polizist, der den
Verkehr über die noch freie Spur leitete, winkte sie durch,
doch Ed sprach mit ihm, ohne dass Owen ihn verstehen
konnte. In seinem Kopf war ein Trommeln. Er hatte den
Falcon-Kombi, der auf dem Kopf hinter der Böschung vor
dem Waldrand lag, schon gesehen.
    Sein Herz schlug so schnell, dass es ihn an Ereignissen
vorbeischob und er ganze Abläufe verpasste. Er bemerkte
nicht, dass Ed steuerte und bremste, er merkte nur, dass
der Mercedes hielt. Es dauerte eine Ewigkeit, bist er her-
ausfand, wie die Tür aufging: Der Griff war kleiner und
höher als in den Autos, an die er gewöhnt war. Er sah, dass
die Tür des auf dem Kopf liegenden Falcon aufgestemmt
worden war, eine graue Decke bedeckte etwas Längliches,
das daneben lag.
    Mit heißem Gesicht, auf wackligen Beinen stolper-
te Owen weg von dem Mercedes und durch einen gras-
bewachsenen Graben, der von irgendetwas durchfurcht
war – schlammige Markierungen, nicht tief, von einem hin-
übergeglittenen Gewicht. Ein anderer Polizist, älter und
stämmiger als der, mit dem Ed gesprochen hatte, hielt ihn
an, als er auf die Decke zutaumelte, die ordentlich festge-
steckt vor ein paar niedrigen, matt scharlachroten Blaubeer-
büschen lag, hinter kniehohen Stauden weißer Astern.
    Der ältere Polizist sagte zu Owen: «Sieht so aus, als ob
sie zu schnell war und in nasse Blätter gekommen und
gerutscht ist, in den Graben rein, und sich überschlagen
hat.»
    Es klang wie ein vernünftiger, ordentlicher Vorgang,
nicht zu gewaltsam. «Ist sie in Ordnung?»
    «Nein, mein Junge», sagte der Polizist, obwohl er sicher        nicht viel älter als Owen war. «Nein. Sie hatte ihren Sicher-
heitsgurt nicht angelegt, und als der Wagen sich überschla-
gen hat, ist sie hart aufgeprallt und hat sich das Genick ge-
brochen. So stellt es sich uns dar. Der Gerichtsmediziner
kommt gleich, um es zu bestätigen. Kein Atem mehr, wir
haben es mit dem Spiegel versucht. Jetzt sind wir darauf
angewiesen, dass sie eindeutig identifiziert wird. Er be-
rührte Owen oberhalb des Ellbogens, als wollte er ihn dar-
an hindern zu entschweben. «Tut uns Leid, dass wir Ihnen
das zumuten müssen, Mr. Mackenzie. Möchten Sie lieber,
dass Mr. Mervine es macht?» Er wusste Eds Namen und
Owens Namen, obwohl das hier Upper Falls war.
    «Nein, ich mache es.» Er machte die letzten Schritte
dankbar, die Decke hatte so einsam ausgesehen. Wie wenn
man nachts nach schlafenden kleinen Kindern sah, so al-
lein in der Wiege oder im Bett, dass einen immer ein An-
flug von Panik überkam, bis man sie atmen hörte.
    «Lassen Sie mich die Decke anheben. Sagen Sie, wann
Sie so weit sind.»
    «Jetzt.» Seine Schuhe und Fußknöchel wurden nass.
Die verschiedenen Gräser, die kleinen glänzenden Blau-
beerblätter, der Kies und der Schotter am Straßenrand, die
Plastikdeckel und Zigarettenkippen, die langsam wieder
in Natur übergingen: Diese Daten pressten sich auf seiner
Netzhaut ein, als wollten sie ihm sagen, dass alles Illusion
war, dass der Moment umgekehrt und erlöst werden wür-
de, dass er sich hinunterbeugte, um sein nasses Brillenetui
aus dem taufeuchten Unkraut aufzuheben.
    Mit zitternden Händen zog der Polizist die Decke zu-
rück. Vielleicht war er doch älter als Owen. Die bleiche
Phyllis schlief, ihr sandfarbenes Haar war kaum zerzaust,
ihr Kopf nicht merklich verrenkt. Ihre Augen waren noch         offen, was ihn schockierte, aber ihr Gesicht war schon im
Übergang zum Unbelebten begriffen, all die wunderbar
verwobenen Strukturen waren noch unversehrt, doch sie
entbehrten des Funkens, des Pulses, der ihnen Bedeutung
und Gegenwart verlieh. Aus der empfindlichen Haut auf
den Wangenknochen war die Röte gewichen. Sie sah aus
wie eine Statue; doch war sie in seiner Vorstellung nicht
seit langem eine Statue gewesen?
    Ein Gewicht senkte sich auf Owen: Ed lehnte sich auf
ihn, blickte ihm über die Schulter, während Owen im
Unkraut kniete, um Phyllis anzusehen. Das Gewicht auf
seinem Rücken löschte Owens Impuls, sich hinunterzu-
beugen und ihre Lippen zu küssen, die gerade noch seine
geküsst hatten, mit verspäteter Leidenschaft. Ed atmete
dicht hinter seinem Ohr. «Das hast du gemacht, du Scheiß-
kerl.»
    «Ich?», fragte Owen.
    «Sie war die beste Frau, der ich je begegnet bin», sagte
Ed, und sein

Weitere Kostenlose Bücher