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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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jährlichen
Gehaltsanpassungen. Ihre Pflicht war es, die Kinder auf-
zuziehen und sich aus seinem Privatleben herauszuhalten.         Das Haus ginge an sie, aber das Kapital und die Fähigkeit,
mehr anzuhäufen, läge bei ihm. In dem Wunsch, sich für
diese ungleiche Behandlung zu entschuldigen, ohne je-
doch das Manöver seines Anwalts zu verraten, verharrte er
in der Mitte seiner alten Küche, neben dem Klapptisch aus
Silberahorn, den sie in New York gekauft hatten, spontan,
an der Seventh Avenue im Village, und der in Middle Falls,
wenn alle vier Kinder zu Hause waren, zu klein gewesen
war – deshalb hatten sie nie alle zusammen beim Früh-
stück oder Mittagessen um ihn herumgesessen, sondern
sich abgewechselt oder im Stehen an der Arbeitsfläche ein
Sandwich runtergeschlungen. Jetzt dachte er voller Bedau-
ern daran. Seit über einem Jahr war er nicht mehr so früh
am Tage in dem Haus gewesen. Die aufsteigende Sonne
schoss einen breiten Lichtstrahl durch den fast blätterlo-
sen Fliederbusch und machte die Plastikscheibe der elek-
trischen Küchenuhr an der Wand blind. Als er den Kopf
bewegte, sah er, dass es zwanzig vor neun war. Unter der
Uhr hatte Phyllis mit Klebeband neue Farbfotos von Floyd
und Eve befestigt, Aufnahmen, die in der Schule gemacht
worden waren: Sie sahen darauf aus wie die hyperrealis-
tischen, ironisch verzerrten Skulpturen aus emailliertem,
glasfaserverstärktem Kunststoff.
    Phyllis legte den Zahlenausdruck auf den Tisch und
fuhr mit dem Handrücken in einer etwas unwirschen Ges-
te darüber, als wollte sie ihn verscheuchen. «Vielen Dank
dafür», sagte sie. «Nehme ich mal an. Er ist anscheinend
furchtbar versessen auf Details.»
    Er vermutete, dass sie Halloran meinte. «Genau wie Da-
vis», gab er zu.
    «Ich habe das Gefühl, dass wir durch die Mangel ge-
dreht werden.»
    «Werden wir auch, Süße. Sie schieben uns ab wie einst
die Sklaven, und dann wollen sie daran noch verdienen.»
Er fand selbst, dass dies nicht sehr witzig klang, und erläu-
terte: «Sie sind Auktionatoren und müssen für die nächsten
Sklaven, die sie versteigern, Platz schaffen.»
    «Meiner», sagte sie nachdenklich, «versteht nicht recht,
warum. Warum wir das machen.» Die Art und Weise, wie
sie das Gesicht von ihm abwandte und auf die Ecke des
Ahorntischs blickte, war ihm vertraut, ebenso die beglei-
tende Geste, mit der sie sich eine Haarsträhne hinter das
Ohr strich; es war ihre Art, etwas Wichtiges zu sagen. Dass
sie bereit sei, ihn zu heiraten, hatte sie in dem gleichen
indirekten Stil erklärt.
    «Aus dem einfachsten und ältesten Grund in der Welt»,
sagte er rasch. «Eine andere Frau.» Er musste deutlich sein.
Er musste diesen Dunst vielschichtiger Gefühle durch-
schneiden, ihren durch Scheu hindurch projizierten alten,
rauchigen Reiz.
    «Es fällt mir sehr schwer», gestand sie stockend, «Julia
als wirklich zu sehen. Sie kommt mir so künstlich vor.»
    «Sie ist nicht künstlich, nicht in dem, was mir wichtig
ist.»
    «Du meinst im Bett? Die Frau eines Geistlichen?»
    Er sagte nichts, überlegte, ob es wirklich so einfach war
und ob dann nicht das Leben zu einfach war.
    Phyllis sprach weiter, nachdem sie auf eine Antwort ge-
wartet hatte: «Es tut mir Leid, dass ich dich in der Bezie-
hung enttäuscht habe. Du schienst immer beängstigend
viel zu erwarten. Wo es doch nur eines von den Dingen ist,
die die Menschen tun. Ich glaube, ich hab Lampenfieber
gekriegt.»
    «Du warst und du bist wunderbar», stellte er fest in dem Versuch, sich zu verabschieden. «Wenn du dich zu einem
Versuch durchringen konntest.»
    Sie nahm das schweigend hin und kam dann auf Hallo-
ran zurück. «Er sagt, es sehe doch so aus, als ob wir uns sehr
mögen. Die Kinder sagen das Gleiche, und die haben mit
uns zusammengelebt.»
    «Bitte», flehte er. «Haben wir das nicht schon alles ge-
sagt? Seit über einem Jahr sagen wir das.»
    «Ich weiß, ich bin eine Langweilerin. Und eine Spielver-
derberin. Aber es macht mir zu schaffen, dass der Schöpfer
von DigitEyes nicht sehen kann, was jeder in der Stadt
sieht, nämlich dass sie eine Schwindlerin ist.» Sie lachte
eine einzige weiche Silbe, deren Klang sie mit dem Atem
einzog, als würde sie gleich weinen. «Eine con artiste, wirst
du mir erzählen», sagte sie.
    Er musste bei der Anspielung lächeln – er fühlte sich ge-
schmeichelt: Sie traute ihm genügend Französisch zu, dass
er es kapierte –, protestierte aber: «Jeder in der Stadt, wie
du sagst, hat seine

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