Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel
nach oben wuchsen und Blätter und Blüten sich entfalteten wie Schmetterlinge, die im Zeitraffer aus einem Kokon schlüpften. Schwerer Rosenduft vermischte sich mit dem metallischen Geruch des Lagunenwassers. Pippa quietschte vor Begeisterung, die anderen sahen nur stumm und ungläubig zu, wie der magische Garten emporwuchs. Goldene Granatäpfel wippten an Zweigen, Rosenranken überwucherten marmorne Statuen, die eben noch schartige Mauersteine gewesen waren. Palmwedel raschelten sanft im Nachtwind.
»Das habe ich damals gesehen!«, flüsterte Jan.
Hoch über den Dächern rauschte etwas wie das Geräusch riesiger Schwingen. Die Donnole sahen nach oben und schrien erschrocken auf. Blitzschnell flüchteten sie von der Mauer in den Schutz der Palmen.
Kristina blinzelte in den Nachthimmel. Zuerst dachte sie, sie sähe eine Wolke – nur dass diese Wolke sich viel zu schnell bewegte. Jan griff nach ihrer Hand und drückte sie so fest, dass es fast wehtat. »Hypogryph«, sagte er tonlos.
Die Palmwedel bogen sich unter dem jähen Windstoß nach unten, als das Fabeltier auf der Mauer landete. Hellgraue Adlerschwingen legten sich an einen schlanken weißen Pferdekörper. Brustgefieder sträubte sich, als dieses Tier, das es nicht geben durfte, sich schüttelte. Adlerkrallen gruben sich in den Stein, hinten klapperten Hufe. Der Blick aus gelben Adleraugen war ebenso scharf wie der des Makaro. Der Hipogryph verharrte auf der Mauer und wartete.
Die Erwachsenen hatten alle die Luft angehalten. Signora Pezzi hatte Pippa die Hände auf die Schultern gelegt und drückte die Kleine schützend an sich. Kristina merkte erst jetzt, dass sie längst aufgehört hatte zu singen.
»Fell und Federn«, sagte Jan. »Dinge, die nicht zusammenpassen, vereinen sich. Das ist Magie!«
Cesare verstand und hob den Kelch zum dritten Mal an Saras Mund. Die leuchtende Flüssigkeit rann zwischen ihre Lippen und das Feuer des Kelchs erlosch.
Sara atmete tief ein und schlug die Augen auf – gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der Hipogryph von der Mauer abstieß und sich mit kräftigen Flügelschlägen über die Dächer erhob.
»Oh, davon habe ich auch geträumt«, sagte Sara andächtig. »Und von Violetta.« Lächelnd sah sie sich im Garten um. »Das hier war ihr magisches Labor, das dreizehnte Zimmer. Ich war sie …« Ein Schatten verdunkelte ihr Gesicht. »Ich war sie. Ich habe Faliero bekämpft, mit meinen Verbündeten, lange Zeit. Im Verborgenen, in den magischen Nächten. Ich war es, die seine Pläne entdeckte und ihn an den Rat der Zehn verriet. Bevor er enthauptet wurde, schwor er, zurückzukehren. Nach seinem Tod kamen die Ratten, die die Pest brachten. Ich ahnte, dass der Kampf eben erst begonnen hatte. Ich habe den Theriak gebraut, um die Menschen zu heilen, ich holte die Kinder zu mir, aber ich spürte, dass er zurückkehren würde.« Sie schluckte. »Da beschloss ich, den Makaro zu rufen. Es war gefährlich, die Stadt konnte zerstört werden, die Menschen ertrinken, aber es war die einzige Chance. Ich stellte Boote zur Verfügung und begann damit, alle aufs Festland zu bringen. Dann wollte ich noch die Kinder in Sicherheit bringen. Sie schliefen noch nach dem Trank, als ich sie in die Gondel bettete. Ich ahnte nicht, dass der Dunkle längst bei mir war. Er verfolgte mich und schwang sich auf meine Gondel. Und er war stark geworden im Tod, so stark und dunkel, dass er mich angreifen konnte. In letzter Not gelang es mir, den Makaro zu rufen, das Untier überschwemmte die Stadt, aber Faliero nahm mir das Leben, Atemzug für Atemzug. Die Welle spülte die Kinder über Bord, aber die magische Gondel sank nicht, und der Makaro wagte nicht, sie zu verschlingen. Mit letzter Verzweiflung riss ich mich los und sprang ins Wasser – in das Portal, das aus der Mitte des Kanals zurück in den Palazzo führte. Hierher.«
»In den geheimen Garten?«, fragte Jan.
Sara nickte. »Ich musste schnell handeln. Ich zerstörte den Garten, bevor der Dunkle mir folgen konnte. Mit meiner letzten Kraft bannte ich ihn ins Wasser und befahl dem Makaro, ihn niemals wieder an Land zu lassen. Dann schleppte ich mich ins Haus zum Fenster. Von dort aus sah ich, wie er die armen, ertrunkenen Kinder erweckte. Aber ich war zu schwach, um ihnen zu helfen. Ich verlor das Bewusstsein und fiel oben von der Treppe. Dann starb ich.« Sie schloss die Augen und atmete durch.
Die Donnole drängten sich näher heran. Sie sahen traurig aus, und Kristina wurde bewusst,
Weitere Kostenlose Bücher