Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Sexologenkongreß in Berlin prallten im Sommer 2000 die EU-intern wohl krassesten Positionen in Sachen Prostitution aufeinander. Angereist waren eine sozialdemokratische Abgeordnete des schwedischen Parlaments und ein Justizbeamter aus den Niederlanden. Beide hatten - quasi als Legitimation für ihre gegensätzliche Prostitutionspolitik - je eine Sexarbeiterin als Sekundantin im Schlepptau. Während die schwedische Prostituierte tränenerstickt ein Martyrium im Sumpf der skandinavischen Unterwelt schilderte, beschrieb ihre niederländische Kollegin die Stationen ihrer Sexarbeitskarriere nüchtern als freie und selbstbestimmte Berufsentscheidung. Während der aufgepeitschten Debatte danach leiteten beide Frauen ihre Beiträge mit einem »Ich respektiere deine Erfahrung, aber...« ein, um letztere dann überhaupt nicht mehr respektvoll als Selbstbetrug oder Sell-Out im Dienste einer Mainstream-Ideologie zu demontieren. Der verbale Showdown der Huren gab den Ton vor für eine nicht minder emotionale Debatte zwischen den beiden Regierungsvertretern, die dann kulminierte, daß beide sich gegenseitig Menschenrechtsverletzungen vorwarfen. Zum Blitzableiter avancierte schließlich ein junger Sexologe, der eine grundsolide empirische Studie über Prostitution in Flensburg vorstellte und von einer Aktivistin gemaßregelt wurde, daß seine akademische Karriere auf Kosten der Frauen stattfinde und er als Mann ohnehin keinen Schimmer von der Sexarbeit habe. Nichts scheint schwieriger, als der Versuchung zu widerstehen, die subjektiven Standpunkte zu verabsolutieren und einer simplen Erkenntnis gelassen zu begegnen: daß die Prostitution viele Gesichter hat, hinter denen sehr verschiedene Wahrheiten darauf warten, erzählt zu werden.
Auch im Deutschland des frühen 21. Jahrhunderts ist die Sexarbeit, um es mit Fontane zu sagen, ein weites Feld. Allein in ihrer gängigsten Variante (Frauen als Dienstleisterinnen, Männer als Kunden) differieren die Erscheinungsformen, Arbeitsbedingungen und Lebensstile der einzelnen Teilbereiche so eklatant, daß sich leicht das Gefühl einstellt, nicht mehr über ein und dieselbe Tätigkeit zu sprechen. Interessant ist, daß diese Vielfalt, die im Fall der Sexarbeit immer wieder für Verwunderung sorgt, in anderen Berufsgruppen für völlig normal gehalten wird. Ein Journalist kann als Kriegsreporter sein Leben riskie ren oder eine Nachmittags-Talkshow moderieren, als Pauschalist der Sklave der Redaktion sein oder sich als Chefredakteur viele Freunde und Feinde machen. Der Alltag und die Erfahrungen eines Klinikarztes unterscheiden sich genauso grundlegend von denen eines niedergelassenen Arztes wie die einer Bordellmitarbeiterin von denen eines unabhängigen Callgirls. Schwer vorstellbar ist allerdings, daß Journalisten oder Ärzte ihre unterschiedlichen Berufsbiographien öffentlich gegeneinander ausspielen und sich dadurch gegenseitig abwerten.
Es ist weder ein Rätsel, noch benötigt man ein soziologisches Diplom, um zu ergründen, wie diese Vielfalt im Spektrum der käuflichen Sexualität zustande kommt: Die Buchstaben des Gesetzes, die jeweilige Pohzeipraxis, die Wirtschaftslage und herrschende Sexualmoral, die Nationalität, Biographie, Motivation, familiäre und Partnerschaftssituation und das Profil des jeweiligen Arbeitsplatz überlagern und beeinflussen sich gegenseitig, wenn sie das Erleben der Frauen prägen und uns mit einer Fülle subjektiver Prostitutionserfahrungen erstaunen.
Die Realität einer deutschen Studentin, die gelegentlich Sex gegen Geld tauscht, um den Computer zu finanzieren, auf dem sie ihre Abschlußarbeit schreibt, ist nicht dieselbe wie die ihrer »illegalen«
ausländischen Kollegin, die täglich arbeitet, um mit dem kleineren Teil ihrer Einkünfte eine Familie in der Heimat zu ernähren, und in ständiger Angst vor Razzien und Abschiebung lebt. Auf Anhieb leuchtet auch ein, daß unabhängige Escorts oder Kolleginnen in seriös geführten Bordellen der Prostitution selbstbestimmter nachgehen als Frauen, die für einen klassischen Zuhälter arbeiten. Eine Drogenprostituierte hingegen dürfte für einen Zuhälter uninteressant sein, da ihre Einnahmen und ihr Lebensstil unter allen Umständen dem Diktat der Droge gehorchen. Mit vernebeltem Bewußtsein und unter dem Druck, ständig Geld für Stoff auftreiben zu müssen, ist sie Nötigungen zu unsafe sex und Gewaltsituationen wehrloser ausgesetzt als Kolleginnen mit klarem Kopf oder mit verantwortungsbewußtem
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