Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Neueinsteigerinnen« im Schatten einer überdachten Open-Air-Bühne statt. Aber noch hat die kreisförmige Sitzordnung ihre integrative Wirkung nicht entfaltet. Stefanies Blick durchbohrt den Boden, ihre Arme sind verschränkt. Danielas Lächeln wirkt etwas bemüht. Ist es der bevorstehende Abgleich von Phantasie und Realität, der die Neueinsteigerinnen in spe verunsic hert? Die Ahnung, daß ein Einstieg in die Sexarbeit ihr Leben stärker verändern könnte als ein Jobwechsel innerhalb des bürgerlichen Spektrums? Oder die Konfrontation mit den vier erfahrenen Sexarbeiterinnen und Hurenaktivistinnen, die ihnen vergleichsweise entspannt gegenübersitzen und weder vom Kleidungsstil noch vom Make-up, so vorhanden, dem Klischee barbiesker Straßenhuren entsprechen?
Die Vorstellungsrunde beginnt bei Daniela. Ein bißchen unsicher kommt die ernst wirkende Frau um die Vierzig auf ihre Finanzlage zu sprechen. Mit ihrem Medienjob verdient sie nach zwölf Arbeitsjahren nicht wesentlich mehr als zu Beginn ihres Berufslebens. Zugenommen haben einzig und allein ihre Gefühle des Ausgebranntseins. Das Hamsterrad des Lebens dreht sich ohne erkennbare Highlights und Perspektiven. »Geld war mir nie besonders wichtig», beteuert sie und wirkt plötzlich peinlich berührt von dem Gewicht, das die Geldthematik in ihrer kurzen Selbstdarstellung erhält,
»aber wenn ich ans Alter denke, wird mir bewußt, daß sich irgend etwas in meinem Leben ändern muß.« Mit Anfang zwanzig sind für Stefanie weder die Altersvorsorge noch die Zwänge der Existenzsicherung ein Thema - Bafög sei Dank.
Im Gegensatz zu ihrem »Liebesleben, das den Namen Liebe kaum verdient«. Desillusioniert und mit leisem Spott skizziert die reserviert wirkende Studentin das Spektrum
bindungsunwilliger Männer, die sich durch ihr Bett und ihren Kühlschrank geschnorrt und anschließend vom Acker gemacht haben: Straßenmusiker auf Durchreise,
Kommilitonen im Examensstreß, affärenerprobte Ehemänner.
»Unterm Strich blieb ein Berg Abwasch«, resümiert sie trocken, »auf dem Strich hätte ich wenigstens Geld verdient.« Was sie bislang davon abhielt, in die Prostitution einzusteigen, fragt eine der Sexarbeiterinnen. Stefanie muß nicht lange überlegen. »Bei dem Gedanken, es mit jedem treiben zu müssen«, entgegnet sie schaudernd, »könnte ich kotzen.«
»Es ist aber ein Irrglaube, daß man nicht nein sagen kann«, widerspricht Lydia. »Das gibt es nur in schlecht geführten Bordellen und auf dem Drogenstrich.« Von den vier anwesenden Sexarbeiterinnen repräsentiert sie den Bordellbereich. Umstandslos und sachorientiert präsentiert sie die Eckdaten ihres Arbeitsalltags: Die meisten ihrer Kolleginnen arbeiten an zwei bis vier Tagen in der Woche, jeweils neun Stunden täglich, in dem kleinen
Wohnungsbordell in einem Berliner Innenstadtbezirk. Die Dienstleistungspreise sind zeitlich gestaffelt. Zwanzig Minuten kosten 70-80 DM, 30 Minuten 100 DM, eine volle Stunde schlägt für den Gast mit 200 DM zu Buche. 30% der Einnahmen gehen an die Chefin - für Miete, Nebenkosten und Werbung. »Spinner oder Alkoholiker wimmeln wir mit dem Argument ab, daß alle Räume besetzt sind«, kommt Lydia auf die Ausgangsfrage zurück. »Und außerdem gibt es viele diplomatische Ausreden. Meistens sucht sich der Gast ohnehin eine Frau aus, die bei der Vorstellung signalisiert, daß sie ihn sympathisch findet.« Angst vor Übergriffen hat sie nicht, schließlich sind immer Kolleginnen in der Nähe. Nur wenn sie allein arbeitet, was an manchen Wochenenden vorkommt, trägt Lydia im Beisein des Gastes demonstrativ einen Hundeknochen in die Küche und geht grundsätzlich hinter ihm ins Zimmer.
»Die Gefahren lauern eher im Krimi als in der Realität«, meint auch Renate, zuständig für den Bereich »Haus und Hotel«. Jahrelang bestimmten Besuche in fremden Wohnungen und Hotelzimmern die Rhythmen ihres
Arbeitsalltags. »Die meisten Männer wirken zunächst eher schüchtern und zeigen sich von ihrer besten Seite, wahrscheinlich von einer besseren als bei ihrer Freundin«, bilanziert sie ihre langjährige Erfahrung als Callgirl. »Sie haben ihre Wohnungen geputzt und aufgeräumt und wollen sich zunächst einfach nur unterhalten. Ganz selten wird man mal reingezogen und gleich ins Bett gezerrt.« Trotz ihrer überzeugend wirkenden Gelassenheit legt die Hurenaktivistin und Sozialarbeiterin den Neueinsteigerinnen einen Sicherheits-Check nahe: »Falls ein ungutes Gefühl aufkommt,
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